Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
U-Bahn benutzte, überlegte Raupach. Vermutlich traf er die Leute sogar täglich, wenn er zusammen mit ihnen vom Rudolfplatz nach Nippes fuhr. Nach Aussage von Lands Buchhändlerkollegen machte er gegen 18 Uhr 15 Schluss, das hieß, er saß jeden Tag um 18 Uhr 33 in der U-Bahn, genau zu der Zeit, als Marta Tobisch gestorben war. Eine makabre Angewohnheit. Die Linien 6, 12 und 15 standen bereits unter verschärfter Überwachung. Sie mussten herausfinden, wer von Lands Nachbarn um diese Zeit die U-Bahn benutzte. Vielleicht legte Land auf diese Leute ein besonderes Augenmerk.
Raupach sah auf die Uhr. Es war kurz nach sieben. Nachdem er Heide instruiert hatte, konnten er, Photini, Jakub und die anderen Gruppen noch ein paar Nachbarn wegen der 18-Uhr-33-Geschichte befragen. Oder sie warteten bis morgen, denn Raupach hatte sich entschlossen, in Nippes Razzien vornehmen zu lassen. In dem Block, der von Neusser, Viersener, Christina- und Baudristraße begrenzt wurde. Sie mussten jede Wohnung filzen, ohne Ausnahme. Dafür war eine richterliche Anordnung nötig. Raupach war zuversichtlich, sie zügig zu bekommen, wenn er den Staatsanwalt sofort verständigte. In Lands unmitttelbarer Nachbarschaft durfte kein Schlupfloch mehr übrig bleiben. Es gab noch einige Adressen, an denen die Polizisten niemand angetroffen hatten. Notfalls mussten sie die Türen aufbrechen. Das würde einigen Aufruhr verursachen. Die Medien würden es als Verletzung der Bürgerrechte brandmarken und Raupachs Überreaktion vor drei Jahren erneut ins Spiel bringen. Bei diesem Fall bekam er nichts geschenkt.
Raupach leitete die Razzien telefonisch in die Wege. Der leitende Oberstaatsanwalt Caberidis war nicht überrascht. Er hatte selbst schon einen Vorschlag für entsprechende Maßnahmen machen wollen und versprach sogleich, sich hinter den Kommissar zu stellen. Raupach kannte Caberidis von früher. Der Mann galt als unbestechlich und nahm in der Regel wenig Einfluss auf die Ermittlungsarbeit. Er stellte selten überzogene Forderungen. Raupach hatte ihn nicht in bester, aber in guter Erinnerung.
Dann richtete er das Teleskop auf ein dunkles Fenster. Davon gab es zahlreiche. Irgendwo dort draußen konnte sich Land verstecken und abwarten. Er konnte sogar in einer erleuchteten Wohnung sitzen. Raupach sah Sterne aus schwarzem Tonpapier mit durchscheinender Folie in der Mitte. Er sah Lichterketten aus kleinen Glühbirnen, die den Stern von Bethlehem darstellten oder eine Sternschnuppe, je nachdem. Er sah hölzerne Engel, die eine Kerze in den Händen hielten, und Rentiere aus Drahtgeflecht, und dann und wann einen bunten Plastikweihnachtsmann.
Schließlich versuchte er, einen richtigen Stern vor die Linse zu bekommen. Das dauerte eine Weile, es war noch nicht spät genug. Hatte Land auch in den Himmel geschaut oder nur auf die gegenüberliegenden Häuser? Als Raupach meinte, einen Stern erhascht zu haben, schob sich eine Wolke davor.
Vier Tage waren bei heruntergelassenen Rollläden vergangen. Ohne die Datumsanzeige des DVD-Geräts wären sie Valerie wie vier Wochen vorgekommen.
In der ersten Nacht plünderte sie die Hausapotheke und nahm ein starkes Schmerzmittel, Mattes und Thierry besaßen eine ganze Kollektion davon. Valerie hatte Johan noch eine Weile dabei zugehört, wie er von seiner verstorbenen Frau erzählt hatte. Dass Marta eine Videokünstlerin gewesen sei. Welche Bedeutung bestimmte Gedichte für sie gehabt hatten. Wie schwer es ihr gefallen sei, nicht überall eine Falle zu vermuten.
Dann war es Valerie zu viel geworden. Sie war Johans Gefangene, nicht seine Therapeutin. Ihre Kraft war verbraucht. Wenn sie daran dachte, wie nah sie sich gekommen waren, in der Sauna, im Kino oder als er sie mit Olivenöl massiert hatte, übertraf ihr innerer Schmerz all die äußeren Wunden.
Sie hatte sich im Schlafzimmer eingeschlossen. Johan hielt sich weiter im Wohnzimmer auf. Es wäre ihr lieber, wenn sie jeder eine Weile für sich blieben, hatte Valerie noch gesagt. Sie würde kein Licht machen und sich leise verhalten. Er könne nicht von ihr verlangen, dass sie auch noch denselben Raum mit ihm teilte.
Den folgenden Tag brauchte sie, um zu regenerieren. Die Prellungen im Gesicht schwollen etwas ab, ihre Lippe sah nicht mehr allzu schlimm aus, an der Wunde über dem Wangenkochen hatte sich Schorf gebildet. Die Brandblase an ihrem Rücken spürte Valerie kaum, nicht weil sie schon verheilt gewesen wäre, sondern weil ihr Rücken schon zu viel
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