Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
gehört.« Der Staatsanwalt machte eine Pause. »Lösen Sie den Fall mit einem angemessenen Polizeieinsatz. Das sollte doch möglich sein.«
Raupachs Widerspruchs-Gen gegen die Obrigkeit regte sich. Er hasste es, wenn die Politik ihm ins Handwerk pfuschte. Sie verlangte stets nach Ergebnissen, die mit dem Machbaren im Widerstreit standen. Überhaupt war die Politik bei jeder Form von Aufklärung ein schlechter Berater. Sie diente nur sich selbst, egal, was sie behaupten mochte.
»Lassen Sie mir die Leute, die ich habe«, sagte Raupach. »Bis zum 23. Dezember.«
»Und danach?«
»Können Sie mit der U-Bahn nach Hause fahren und Ihren Christbaum schmücken.«
»Das wird den Innenminister freuen«, erwiderte Caberidis, der darauf spekulierte, Staatssekretär in der nächsten Landesregierung zu werden. »Sie lassen Köln wie einen Polizeistaat aussehen, Raupach. Damit richten Sie eine Menge Schaden an. Hören Sie auf damit.«
Ein Anruf bei Himmerich ging ins Leere. Er berief sich auf Caberidis und schloss sich seiner Meinung an. Vorderbrügges Verrat hatte nicht das Geringste geändert. Die Polizeipräsenz sollte kurz vor Weihnachten auf ein Minimum heruntergeschraubt werden. Himmerich und Caberidis fürchteten um ihre Positionen, sie scheuten den Wirbel, den ein Großeinsatz erzeugte. Der Feuerteufel von Köln war von einer neuen Krise im Nahen Osten und einer Entlassungswelle bei verschiedenen Banken überlagert worden. Da in Köln seit dem 8. Dezember nichts Gravierendes mehr passiert war, glaubte Himmerich, die Sache eingedämmt zu haben, zumindest nach außen hin.
Im Laufe des Tages kehrten Mattes Messkirch und Thierry Sandigmann aus London zurück. Zuerst waren sie entsetzt über die Neuigkeiten, die sie erwarteten. Dann protestierten sie ebenso heftig wie die anderen Bewohner ihres Hauses gegen den Polizeieinsatz. Woytas übernahm es, die Leute zu beschwichtigen und eine gewundene Presseerklärung abzugeben. Die beiden Designer bekamen ein Hotelzimmer zur Verfügung gestellt, bis die Beweisaufnahme in ihrer Wohnung abgeschlossen war. Sie regten sich noch ein bisschen auf, waren dann aber ganz froh darüber. Es schlief sich schlecht neben den Spuren eines Verrückten.
Bei sich zu Hause in der Gneisenaustraße packte Raupach Toilettenartikel und Wäsche zum Wechseln in einen kleinen Rucksack. Er hörte den Anrufbeantworter ab. Seine Schwester Sigrid hatte eine Nachricht hinterlassen, ein halbherziger Versuch, kurz vor Weihnachten die Familienbande wiederzubeleben. Sie fühlte sich dazu verpflichtet, vielleicht weil sie die Ältere der beiden Geschwister war.
Raupach machte sich nichts vor. Er hatte in den letzten Jahren zahlreiche Brücken hinter sich verbrannt, im Grunde war er zum absoluten Einzelgänger geworden. Sigrid und Marit, der Mann und der Cockerspaniel, sie kamen ohne ihn besser klar. Außerdem widerstrebte es ihm, für Weihnachten eine Verabredung zu treffen, die er vielleicht nicht einhalten konnte. Wie auch immer dieser Fall ausging, er konnte kaum hoffen, nach dem 23. Dezember Festtagsstimmung zu verbreiten oder auch nur so zu tun, damit er zumindest dem Kind nicht die Laune verdarb. Er würde Sigrid eine Weihnachtskarte schreiben, zu mehr sah er sich nicht imstande.
Die nächste Nachricht stammte von Tante Luise. Mit ihr würde er wie mit Sigrid verfahren. Das bedauerte er. Sie war die Einzige in der Familie, die ihn verstand. Aber dies war keine Zeit, um darauf zu spekulieren, nach getaner Arbeit an ihrem viel zu großen Kamin zu sitzen und Tante Luises Portweinsammlung durchzuprobieren. Er durfte gar nicht daran denken.
Als Letztes hatte sich Katharina, die Frau vom Gedächtnistraining, gemeldet. Sie schlug vor, einen Kaffee trinken zu gehen und über ungemalte Bäume zu sprechen. Katharina schien ein Gespür dafür zu besitzen, wie man einen alten Griesgram wie ihn zum Lächeln brachte. Sollte er sie zurückrufen? Am Ende hatte sie eindeutige Absichten. Aber wie konnte er jetzt etwas Neues anfangen, da ihm sogar die alten Verpflichtungen zu viel wurden? Er lebte nicht gern allein, hatte sich aber in langen durchwachten Nächten daran gewöhnt.
Am Nachmittag fuhr er zum Rudolfplatz. In einer leer stehenden Verkaufsstelle der KVB richtete er sich häuslich ein. Sie lag auf der Zwischenebene, bevor es zu den Bahnsteigen nach unten ging. Raupach begab sich ins Zentrum des Geschehens. Dafür musste er den Taubenschlag verlassen. Für Himmerich mochte das wie Führungsschwäche
Weitere Kostenlose Bücher