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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Risiko, dass der Zug entgleisen könnte, gegen Ihren Wunsch ab, an ein bestimmtes Ziel zu kommen. Hier ist das ähnlich: Mit einem Herzkatheter gehen Sie ein minimales Risiko ein. Lehnen Sie die Untersuchung ab, riskieren Sie eventuell einen Herzinfarkt."
    Herr Sauerbier ist nicht so schnell zu überzeugen.
    "Ich fahre nie U-Bahn! Aber hier steht, dass auch die Untersuchung selbst zum Herzinfarkt führen kann."
    Es ist irgendwie unwirklich: Wenige Meter entfernt sitzt ein wahrscheinlich nicht ganz zurechnungsfähiger, bestimmt aber zu allem entschlossener Geiselnehmer mit geladenem Revolver, Schwestern und Ärzte tragen Sprengladungen am Körper, und wir diskutieren über unwahrscheinlichste Risiken einer Routineuntersuchung.
    Herr Sauerbier ist noch nicht fertig.
    "Gesetzt den Fall, es wird eine hochgradige Verengung bei mir gefunden. Arbeiten Sie hier wenigstens mit beschichteten Stents?"
    Die Frage verrät intensive Beschäftigung oder Erfahrung mit dem Thema, es sei denn, Sauerbier nervt uns als Testpatient in einer Untersuchung zur Patientenzufriedenheit.
    "Sagen Sie mal, Herr Sauerbier. Wie viele Herzkatheteruntersuchungen hatten Sie eigentlich schon?"
    Sauerbier druckst etwas herum. Schließlich gibt er zu, schon zweimal mit Herzkatheter untersucht worden zu sein. Voruntersuchungen zu verschweigen ist ein beliebter Sport unter Patienten.
    "Wann war die letzte Untersuchung?"
    "Vor zwei Jahren."
    "Und was ist damals herausgekommen?"
    Nach weiterem Bohren stellt sich heraus, dass man bei ihm Verengungen an den Herzkranzgefäßen gefunden hat, aber weitere Maßnahmen noch nicht notwendig waren. Gut möglich, dass der Befund inzwischen zugenommen hat.
    "umso dringender ist eine neue Untersuchung, Herr Sauerbier, auch wenn Ihre Beschwerden offensichtlich recht wechselnd sind. In der Regel werden die Verengungen in den Herzkranzgefäßen mit den Jahren nicht besser."
    "Ich finde, jetzt setzen Sie den Patienten unter Druck. Das ist nicht Sinn einer Aufklärung", mischt sich plötzlich unser Geiselnehmer von der Wand gegenüber ein.
    Ich bin sprachlos. Eigentlich bin ich wütend, habe mir aber mit viel Energie angewöhnt, bei Wut sprachlos zu sein. Manchmal schaffe ich das sogar. Nicht so Schwester Käthe.
    "Halten Sie sich raus", rät sie dem Mann an der Wand. "Oder wollen Sie noch eine Verantwortung auf sich nehmen? Für etwas, für das Sie weder ausgebildet noch verantwortlich sind?"
    Ich glaube, es ist nicht Respekt vor Käthes Alter, der den Geiselnehmer verstummen lässt. Es ist einfach die ruhige Autorität, die von ihr ausgeht. Jedenfalls mischt er sich in unsere weitere Visite nicht mehr ein.
    Klar allerdings, dass Zentis nachkarten muss, sauer, dass nicht er den Kerl zurechtgewiesen hat.
    "Die Patienten gehen Sie nichts an. Also seien Sie still!"
    Ich meine wieder, die Andeutung eines Lächelns hinter der dunklen Brille wahrzunehmen. Ein etwas gequältes Lächeln, scheint mir.
    Bei Herrn Engels, Bett zwei, die Ösophagusvarizenblutung, bleiben wir dabei, heute Abend keine Experimente zu veranstalten, wenn auch eine weitere Nacht mit Sengstaken-Sonde im Schlund sicher unangenehm ist. Der Geiselnehmer begleitet uns, wenn auch stumm, weiterhin aufmerksam. In für ihn unverständlichen Fachtermini diskutieren wir, ob wir Herrn Engels die Nacht und die Sengstaken-Sonde mit Schlaftabletten erleichtern sollen. Was allerdings hieße, dass er außer Gefecht wäre, oder jedenfalls stark verlangsamt, sollte irgendeine dramatische Aktion stattfinden. Trotzdem entschließen wir uns zu einem ordentlichen Sedativum, denn in seinem Zustand ist er eh nicht zu großartigen Aktivitäten in der Lage.
    Die Entscheidung, auch Herrn Sauerbier pharmakologisch durch die Nacht zu helfen, ist selbstverständlich ebenfalls rein medizinischer Natur, nichts verengt Herzkranzgefäße effektiver als Streßhormone. Gerne nehmen wir dabei den Nebeneffekt eigener Nervenschonung in Kauf.
    Wir stehen wieder an Bett vier. Hier erübrigen sich Schlaftabletten.
    "Gibt es ein EEG?" frage ich Zentis.
    Die Hirnschädigung bei Leberkoma führt zu einer ziemlich charakteristischen Veränderung der Hirnströme. Zentis scheint meine Frage überhört zu haben, statt seiner antwortet Renate.
    "Soll gestern gemacht worden sein. Deshalb war doch am Abend die Diskussion."
    "Was für eine Diskussion?" erkundige ich mich, während ich in den Unterlagen nach dem EEG suche.
    Ehe Renate erklären kann, fällt ihr Zentis ins Wort: "Das EEG ist bei den Neurologen,

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