Der Vierte Tag
wir schließlich alle gemeinsam Frau Fröhlich in Richtung Tür schieben, ist das Chaos daher nicht ganz so schlimm wie sonst. Trotzdem löst sich natürlich auch bei ihr die eine oder andere Überwachungselektrode von der Haut, löst Blutdruck- Beatmungs- oder Frequenzalarm aus. Das entstehende Durcheinander wäre eine ganz gute Chance für ein Sondereinsatzkommando, denke ich. Allerdings mit sehr hohem Risiko für Frau Fröhlich. Ich bin froh, dass ein entsprechender Versuch ausbleibt.
Dann steht Herr Fröhlich unversehens mitten in der Tür zur Intensivstation, hadert wohl mit sich selbst und der Frage, ob er die Verlegung seiner Frau nicht doch noch aufhalten soll. Er hat Tränen in den Augen und gäbe jetzt ein kaum zu verfehlendes Ziel ab. Aber auch dieser Moment geht vorüber, kein Schuss ist gefallen, kein Sondereinsatzkommando hereingestürmt.
Wir hören noch, wie Frau Fröhlich in den Fahrstuhl geschoben wird, es gibt das übliche "Vorsicht mit dem Tubus" und "pass doch auf!", dann ist Ruhe. Kein regelmäßiges Auf und Ab vom Blasebalg in der Beatmungsmaschine mehr, kein gelegentliches Piepen der Monitore oder Infusionsautomaten. Die ungewohnte Stille auf der Intensivstation macht mich nervös. Dazu kommt, dass Käthe, Renate und ich mit der Verlegung von Frau Fröhlich unsere letzte Aufgabe verloren haben, inzwischen sowohl im Haupt- wie im Nebenberuf nur noch Geiseln sind.
Allerdings ist Bett vier, noch vor kurzem Zentrum unserer Aktivität, gleich wieder belegt: Inmitten der inzwischen sinnlosen Kabel, abgerissenen Pflaster und Elektroden hat es sich Fröhlichs Schäferhund gemütlich gemacht. Sein Herrchen sitzt neben ihm, krault sein Fell und starrt die Wand an. Woran mag er denken? Sinnt er gerade darüber nach, ob sich seine Aktion jetzt nicht erledigt hat? Mir scheint das so zu sein, aber ich werde ihm besser etwas Zeit geben, von selbst darauf zu kommen.
Während bei Herrn Fröhlich also hoffentlich eine Gedankenkette beginnt, die am Ende zu unserer Entlassung aus der Geiselhaft führt, habe ich Muse, darüber nachzudenken, was eigentlich mit Frau Fröhlich gelaufen ist. Ihr Leberkoma: Hängt es wirklich mit diesem Medikamententest zusammen? Warum steht dazu nichts in ihrer Krankenakte? Und warum hat Zentis nichts davon erwähnt? Weil es etwas zu verschleiern gibt? Weil bei dem Test tatsächlich etwas schiefgegangen ist? Oder weil es schlicht keinen Zusammenhang zwischen Test und Leberkoma gibt?
Weiter: Stimmt es überhaupt, was Fröhlich erzählt hat? Hat seine Frau wirklich an einem Test in der Forschungsabteilung teilgenommen? Oder kommt ihm die Geschichte mit der Medikamententestung gerade recht, um etwas zu verschleiern, was er nicht preisgeben will? Es gibt einen logischen ersten Schritt, um Antworten zu finden. Aber zu jedem Schritt brauchen wir die Erlaubnis von Herrn Fröhlich.
"Ich denke, wir sollten etwas über die Substanz in Erfahrung bringen, die an Ihrer Frau getestet worden ist."
Ziemlich müde dreht Fröhlich seinen Kopf in meine Richtung.
"Wozu? Was soll das noch bringen?"
Weiß Fröhlich wirklich, dass es der künstlichen Leber egal ist, warum sie die Arbeit der eigentlichen Leber übernehmen muss? Oder unterstützt er gerade meinen Verdacht, es gab diesen Medikamententest vielleicht gar nicht?
"Und wenn Sie das wirklich interessiert, Dr. Hoffmann. Warum haben Sie nicht vorhin am Telefon ihren Chefarzt danach gefragt?"
"Ich habe nicht daran gedacht".
Was stimmt. Außerdem wäre das vielleicht auch keine gute Frage über die offizielle Telefonleitung zum Krisenstab gewesen. Jedenfalls erlaubt Fröhlich am Ende einen Anruf in der Forschungsabteilung. Stimmt das mit dem Test, nimmt er mir vielleicht endlich meine Unwissenheit über die Vorgänge in der Forschungsabteilung ab.
"Ich denke", sage ich, "wir sollten Informationen dazu über eines der Handys einholen, die Sie gestern eingesammelt haben."
Das leuchtet ihm ein, er rückt Renates Handy heraus. Die Existenz meines Handys verrate ich weiterhin nicht.
In der "Tagesklinik für Medikamentensicherheit" bekomme ich einen Dr. Schaaf an den Apparat, sicher einer von Zentis' Hilfsärzten direkt von der Universität. Ich kenne ihn nicht, und besser noch, er kennt mich auch nicht. Trotzdem kann ich mich jetzt kaum als "Dr. Hoffmann, gewöhnlich Innere Abteilung Humana-Klinik, zurzeit Vollzeitgeisel auf der Intensivstation" melden.
"Guten Tag, Herr Kollege, hier ist Dr. von Holst. Ich bin niedergelassener Internist und
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