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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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absolute Koordination zwischen uns. Aber ich schwöre: Bei der nächsten Gelegenheit unternehme ich etwas, um diese unwürdige Situation zu beenden!
    Frustration und Enttäuschung sind geblieben, aber wenigstens meine Wut habe ich unter Kontrolle gebracht. Und nun? Soll ich mich in eine Ecke hocken und auf die berühmte Gelegenheit warten? Ist es zu viel Gesichtsverlust, wenn ich auf Fröhlichs Vorschlag eingehe und mich inzwischen um die Vorgänge rund um diese Fett-weg-Spritze kümmere?
    Es gelingt mir, einen Teil meiner Wut auf unsere "Tagesklinik für Medikamentensicherheit" zu lenken. Was fällt diesem Rotzlöffel von Jungdoktor eigentlich ein, mich nicht zurückzurufen? Fröhlich genehmigt mir einen erneuten Anruf in unserer Forschungsabteilung. Tatsächlich bekomme ich Dr. Schaaf ziemlich schnell ans Telefon.
    "Herr Kollege von Holst, nicht wahr?"
    "Genau. Und seit Stunden warte ich auf Ihren Rückruf, Herr Kollege. Haben Sie bisher keine Zeit gefunden, der Sache nachzugehen?"
    "Doch, das habe ich. Ich habe Ihre Anfrage daraufhin an unseren Chef weitergegeben, an Dr. Zentis. Der wird sich bei Ihnen melden. Oder Sie rufen ihn an. Soll ich Ihnen die Nummer geben?"
    Vielleicht hat dem Kollegen Schaaf der Name Lustig oder Fröhlich als Testkandidatin tatsächlich nichts gesagt, er soll ja fleißig forschen und nicht fernsehen. Beides dürfte für den Kollegen Zentis nicht zutreffen. Und der dürfte deshalb auch nicht an einen in der Praxis nicht erreichbaren Dr. Holst glauben. Ich lasse mir die Nummer von Zentis trotzdem geben, beeindruckt, unter wie viel verschiedenen Telefonnummern unser Chefarzt erreichbar ist. Was dieses Testmedikament betrifft, muss ich mir Informationen jedoch sicher anderen Orts beschaffen. Ich habe auch schon eine Idee, wer mir da weiterhelfen kann.
    Erst einmal meldet sich aber wieder Schwester Renate, die weiterhin den Fernseher im Auge hat und uns auf das laufende Programm aufmerksam macht. Ich erkenne, dass mich wenigstens im Moment Chefarzt Zentis nicht anrufen kann, denn der wird gerade auf allen Kanälen interviewt. Das Gerangel ist fast so groß wie vorhin am Eingang der Charité. Die Reporter der verschiedenen Anstalten schreien Fragen in die Gegend, von denen ich nur Bruchstücke mitbekomme.
    "... gefährlich ... Tod ... Rettung ...?"
    Was mag die aufgeregte Reporterin, die sich trotz unterdurchschnittlicher Körpergröße dank schriller Stimme durchgesetzt hat, wohl gefragt haben?
    "Für wie gefährlich schätzen Sie den Geiselnehmer ein? Müssen wir mit dem Tod der verbliebenen Geiseln rechnen? Gibt es noch irgendeine Hoffnung auf ihre Rettung?" reime ich mir zusammen.
    Zentis braucht die Frage genau so wenig zu verstehen wie ich. Er ist politikerfahren genug, um zu wissen, dass Fragen nicht dazu da sind, beantwortet zu werden, sondern, um selbst zu Wort zu kommen.
    "Ich darf betonen, dass die Humana-Klinik, bis auf die Innere Intensivstation, trotz der aktuellen Umstände voll funktionsfähig ist. Die Verlegung der Patientin in ein anderes Krankenhaus bedeutet nicht, dass sie in der Humana-Klinik nicht optimal versorgt wurde, und hängt nur mit der aktuellen Situation auf unserer Intensivstation zusammen."
    Die nächste Frage an Zentis ist besser zu verstehen. Man will wissen, ob er erklären könne, warum ausgerechnet er freigelassen worden sei.
    Zentis beantwortet auch diese Frage nicht direkt. "Natürlich bin ich sehr froh, frei zu sein. Von Bedeutung ist dies allerdings hauptsächlich für die Menschen, für die ich in unserer Klinik die Verantwortung trage, für unsere vielen Patienten also und unsere Mitarbeiter."
    Selbstverständlich mache er sich Sorgen um die verbliebenen Geiseln, hätte nur zu gerne weiterhin das Schicksal mit ihnen geteilt und sie moralisch unterstützt, aber als Chefarzt der Humana-Klinik habe er eine übergeordnete Verantwortung. Er kenne nicht die wirklichen Gründe des Geiselnehmers, ihn aus der Geiselhaft zu entlassen. Aber da dieser Geiselnehmer sich bisher um die Patienten besorgt gezeigt habe, wären das vielleicht auch dessen Gründe gewesen.
    Es ist unglaublich, wie Zentis das fast druckreif in die Mikrophone diktiert, hört es sich sogar für mich plausibel an. Wir haben es bei unserem Herrn Fröhlich also nicht mit einem durchgeknallten Angehörigen, sondern mit einem verantwortungsbewussten Menschen zu tun, der sehr wohl zwischen wichtigen Mitgliedern der Gesellschaft und zumindest zeitweise abkömmlichen Geiseln zu unterscheiden weiß!

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