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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Details."
    "Also nehmen wir einmal an, Proband Nummer dreizehn und unsere Patientin sind identisch. Was, glaubst du, ist da passiert?"
    Michael braucht nicht lange zu überlegen.
    "Klingt nach Überdosierung, oder? Soweit ich weiß, muss man die Ampullen vor dem Spritzen eins zu zehn verdünnen. Und vielleicht hat man das bei Proband Nummer dreizehn vergessen."
    "Und ihn beziehungsweise sie damit ins Leberkoma geschossen?"
    "Das ist die Schwierigkeit, Felix. Ich habe mich diskret erkundigt bei Alpha Pharmaceutics. Die sagen, auch eine zehnfache Überdosierung sei weitgehend unproblematisch."
    "Die wollen das Zeug auf den Markt bringen, einen weltweiten Renner, wie du selbst sagst. Da wollen sie keine Last-minute-Probleme!"
    "Das kann ich mir nicht vorstellen, Felix. Ich habe zwei Jahre bei Alpha Pharmaceutics gearbeitet. Das ist eine grundsolide Firma, das kannst du mir glauben. Das sind keine Waschmittelfabrikanten."
    Ist Michael bewusst, was er da gerade gesagt hat? Denn in der Tat hat Alpha Pharmaceutics einen guten Namen als Arzneimittelhersteller, galt immer als integer. Aber vor weniger als einem Jahr ist die Firma aufgekauft worden - und zwar von einem französischen Waschmittelkonzern!
    Unser Herr Fröhlich hat sich inzwischen einen zweiten Instantkaffee gemacht, etwa zu gleichen Teilen Kaffeepulver und destilliertes Wasser. Ich bezweifle trotzdem, ob er es wach durch die zweite Nacht schaffen wird. Schwester Renate schläft offensichtlich schon, auch Schwester Käthe hat sich in ein Patientenbett gelegt.
    Ich liege auf Bett drei und mache mir Gedanken darüber, wie es wohl weitergeht. Werde ich durchschlafen können, oder wird uns ein neues Sondereinsatzkommando die Nacht verkürzen? Nachdem man bei der Polizei die Deckung durch das Gewitter vorhin nicht genutzt hat, halte ich die Wahrscheinlichkeit für gering. Und immerhin sind im Lauf des vergangenes Tages mehr als die Hälfte der Geiseln freigekommen. Das und die fernsehweite Suche nach Stinki hat Herrn Fröhlich mit Sicherheit Sympathiepunkte in der Bevölkerung eingebracht, und trotz des Drucks aus der Politik dürfte es der Polizei unter diesen Umständen schwer fallen, eine gewagte Befreiungsaktion oder gar einen finalen Todesschuss zu rechtfertigen.
    Also stehen die Chancen für eine ungestörte Nacht nicht schlecht, mit ein wenig Glück ist der rührige Herr Innensenator anderweitig verpflichtet, in seinem Wahlkreis vielleicht oder beim Sommerfest der Waschmittelproduzenten.
    Fröhlich scheint nicht so überzeugt von der ungestörten Nachtruhe, oder er misstraut der anhaltenden Wirkung des Koffeins. Jedenfalls kontrolliert er noch genauer als gestern Abend seine Sprengstoffpäckchen an der Tür, von denen ich immer noch nicht sicher weiß, ob sie nur per Funkbefehl oder auch allein durch Erschütterung ausgelöst werden.
    Ich gähne demonstrativ und schließe die Augen. Weniger müde Gefangene könnten unseren Geiselnehmer veranlassen, uns wieder an die Heizung zu ketten. Und mit dem Sprengstoff um die Taille ist es schon schwierig genug, eine bequeme Schlafstellung zu finden.

Nacht zwei
    "Jede klinische Entscheidung, von der medizinischen Indikationsstellung bis hin zur Entlassung des Patienten, muss immer zugleich auch als ökonomische Entscheidung begriffen werden, die...Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Ressourcen und Geschäftsergebnisse des Krankenhauses haben wird."
    Prof. Schwarz, Prof. Luger, Hautklinik des Universitätsklinikum Münster und PD Dr. med. Roeder, "Stabsstelle Medizincontrolling", im Deutschen Ärzteblatt

So ideal kann meine Schlafstellung nicht gewesen sein, nach gut zwei Stunden bin ich wieder wach. Auf beide Ellenbogen gestützt, schaue ich mich um. Mit ihren blonden Haaren, die wie für ein Werbefoto arrangiert auf dem weißen Kissen liegen, erinnert Renate an einen erschöpften Weihnachtsengel, an einen Weihnachtsengel allerdings, der schnarcht. "Polypen" hat sie mir früher einmal erklärt. Käthe schläft genau so, wie sie durchs Leben geht: unauffällig, rücksichtsvoll, niemanden störend. Herr Fröhlich sitzt auf dem Boden, gegen die Theke gelehnt, und putzt wieder einmal seine Pistole. Ich räuspere mich vorsichtig, um ihn nicht ausgerechnet dabei zu erschrecken.
    "Wo haben Sie das gelernt?"
    "Was gelernt?"
    "Den Umgang mit Pistolen."
    "Beim Bund. Ich war bei den Pionieren."
    Als ehemaliger Westberliner vergesse ich immer, dass Männer in Deutschland irgendwann einmal ihren Wehrdienst ableisten und im

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