Der Vierte Tag
ist Celine, von der ich hoffe, dass wenigstens sie ein paar Antworten für mich hat. Von meinem Telefonat mit Michael berichte ich ihr nicht, denn für sie beuten Pharmafirmen sowieso Versuchstiere und die ehemals Dritte Welt aus, und somit ist ihnen alles zuzutrauen.
Celine ist zu Recht stolz. Sie hat nun auch die Daten zu Phase zwei und drei in Italien gefunden und hofft nur, dass ich inzwischen mit meiner Analyse der Phase eins fertig bin. Was ich, ebenfalls ein wenig stolz, bejahen kann.
"Und sonst? Wie läuft es sonst so bei meiner Lieblingsgeisel?"
Ich berichte, dass man uns den Strom abgestellt hat.
"So ein Mist! Also läuft auch der Computer nicht." Celine lässt mich nicht zu Wort kommen. "Warte. Ich könnte die Dateien ausdrucken und als Fax schicken. Hast du da ein Faxgerät?"
Ich fürchte, auch ein Faxgerät würde nicht ohne Strom arbeiten. Aber endlich kann ich ihr sagen, dass der Computer trotzdem funktioniert. Warum, erwähne ich zur Sicherheit nicht. Falls jemand mithört, könnte er ja auch auf Batterie laufen.
"Mit dem Faxen wäre es ohnehin schwierig geworden, das sind bestimmt über fünfhundert Seiten." Celine klingt erleichtert. "Also bekommst du die Daten jetzt auf dem üblichen Weg. Übrigens - ich könnte dir noch etwas verraten."
Celine macht eine ihrer bedeutsamen Pausen, dann verstehe ich.
"Also gut, meine Liebe. Üblicher Preis. Fürstliches Mahl, Restaurant deiner Wahl."
"Mit Nachtisch!"
"Mit Vorspeise und Nachtisch, was du willst. Lass es endlich raus!"
Das tut sie dann auch. Ihrem Hamburger Freund sei es gelungen, inzwischen weitere E-Mails von "dieser Firma" zu entschlüsseln.
"Dann sollte ich den zum Essen einladen, nicht dich."
"Keine Chance, Dr. Hoffmann, du gehst mit mir essen, mit niemandem sonst. Und was Willi betrifft, mach dir keine Sorgen. Bei dem werde ich mich in angemessener Weise bedanken."
"Celine! Du darfst mich nicht ärgern, ich bin die Geisel!"
Täte ihr leid, sagt sie, mein Pech. Sie habe schon als Kind auch Jungs mit Brille verhauen. Und ob sie mir jetzt von den E-Mails erzählen soll oder nicht. Klar soll sie das.
"Also, wir wissen jetzt, warum dieser Müller-Wohlgemuth entlassen worden ist."
Ich bin enttäuscht. "Das weiß ich auch. Der wollte da nicht mehr mitmachen, hat sicher gedroht, an die Öffentlichkeit zu gehen."
Celine ist hoffentlich beeindruckt, was man sogar als Geisel alles herausbekommen kann.
"Falsch, Felix. Öffentlichkeit dürfte kaum im Interesse von Müller-Wohlgemuth gewesen sein. Es geht um Insider-Trading."
"Insider-Trading?"
"Ja. Die Anwälte der Firma sind sich nicht sicher, ob es Insider-Trading im juristischen Sinne ist", schränkt Celine ein. "Jedenfalls hat er einigen seiner guten Buddys den Tipp gegeben, noch vor der Pressekonferenz Aktien von dieser Firma zu kaufen. Damit habe er, meinen die Hausanwälte, auf jeden Fall seine Stellung innerhalb der Firma missbraucht. Laut der E-Mails war die Entlassung absolut zwingend, ohne Handschlag, ohne Abfindung."
Einen dieser "guten Buddys" kenne ich. Mein Freund Michael, alter Freund und ehemaliger Kollege von Müller-Wohlgemuth, der mir noch gestern Abend dringend den Kauf von Alpha Pharmaceutics empfohlen hat!
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag: Michael hat recht! Müller-Wohlgemuth, und damit Alpha Pharmaceutics, kann keine Ahnung von Schwierigkeiten mit MS 234 gehabt haben! Warum? Ganz einfach: Müller-Wohlgemuth hat seinen Freunden zum Kauf der Aktien geraten, nicht zum Verkauf!
Kaum ist das Gespräch mit Celine beendet, werfe ich aufgeregt den Computer wieder an, checke meine E-Mails. Aber die Daten von Celine sind noch nicht angekommen. Unruhig tigere ich auf und ab.
Fröhlich hingegen ist die Ruhe in Person, scheint sogar etwas belustigt über meine zunehmende Nervosität.
"Also", wiederholt er seine Frage von vorhin, "wie steht es nun mit Ihnen und Gott?"
Natürlich meine ich zu wissen, worauf Fröhlich hinaus will: Wie kann er an einen Gott glauben, der so grausam ist, dass er ihm seine Frau wegnimmt. Ein bekanntes Argument, und beliebig variabel. Wie kann ich an einen Gott glauben, der jeden Tag den Hungertod Tausender von Kindern erlaubt? Der die Vergasung von sechs Millionen Juden nicht verhindert hat? Der unerträgliche Zahnschmerzen zulässt? Eigenartig, dass es in der Regel der persönlichen oder kollektiven Katastrophe bedarf, um Gott ins Spiel zu bringen, und sei es nur, um damit seine Unfähigkeit oder Nichtexistenz zu belegen.
Aber
Weitere Kostenlose Bücher