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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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nicht tun werde. Wann genau eigentlich, frage ich mich, bin ich zu seinem Komplizen geworden?
    Die Luft steht mindestens so müde wie Fröhlich im Raum, trotz des gestern zerbrochenen Fensters weht kein Lüftchen. Fröhlich mag nichts von mir zu befürchten haben, aber letztlich werden uns beide Gestank und Hitze überwältigen.
    Also sitze auch ich nur herum und warte auf Celines Rückruf. Inzwischen halte ich es für mehr als wahrscheinlich, dass Frau Fröhlich an diesem ominösen vierten Tag, und wahrscheinlich schon am dritten, direkt nach Testende in der Tagesklinik noch an einem weiteren Phase II-Versuch teilgenommen hat.
    Auf n-tv ist man dabei, den Börsentag in Frankfurt zu bilanzieren. Ist es tatsächlich schon so spät? Das Mittagessen haben wir vollkommen vergessen, Stinki hat auch noch nichts bekommen.
    Die Kommentatoren im Studio zeigen sich zufrieden mit dem Lauf der Dinge an der Börse, der Dax hat ein halbes Prozent zugelegt, der Tecdax sogar über ein Prozent. Besonders gut gelaufen sind Pharmatitel, die Kurssteigerung von fünf Prozent bei Alpha Pharmaceutics habe dieses Marktsegment mitgezogen, "beflügelt", wie sich der live aus Frankfurt zugeschaltete Analyst ausdrückt. Der Tod von Müller-Wohlgemuth ist nur noch eine Randnotiz. Alpha Pharmaceutics habe Selbstmord als Todesursache bestätigt, wahrscheinlich Resultat einer chronischen Depression, ein Zusammenhang mit seiner Arbeit für die Firma bestehe nicht.
    Die Aktien der Klinikkonzerne sind heute entgegen dem Markttrend weiter gefallen. Ich glaube nicht, dass ein Zusammenhang mit der anhaltenden Geiselnahme in der Humana-Klinik besteht, der Analyst glaubt das auch nicht. Die Anleger seien einfach verunsichert, in welche Richtung sich das Dauerthema "Sanierung des deutschen Gesundheitssystems" entwickeln werde. Vor zwei Jahren, als die Vitalkliniken GmbH neben unserer Humana-Klinik mehr als zehn bis dahin öffentlich betriebene Kliniken für ein paar Euro eingesackt hat, versprach man sich noch Wunderdinge an Synergie- und Rationalisierungseffekten, sprach von verbilligtem Einkauf, Schwerpunktbildung und damit verbundenen Personaleinsparungen. Das große Ziel war der "Gang an die Börse" und unser aller Aufgabe, die Vital-GmbH dafür "fit zu machen". Bei den entsprechenden Verlautbarungen aus dem Management waren wir entweder "richtig aufgestellt" oder wenigstens auf einem guten Weg dahin, wenn nur entsprechend "nachjustiert" werde. Wobei "nachjustieren" gewöhnlich weitere "Freisetzungen" bedeutete.
    Mittlerweile ist es still geworden um den Börsengang der Vital-GmbH. Trotz eifrigem Nachjustieren und der Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld wird inzwischen von dreißig Millionen Euro Schulden gesprochen, ein Loch, das auch die wundersame Verzehnfachung der Pharmatests in der Tagesklinik nicht stopfen dürfte.
    Überhaupt, wie immer ein interessanter Punkt: Who profits? Steckt sich Zentis die Knete aus seinem Eins-zu-zehn-Geschäft selber ein? So wie ich ihn seit unserer gemeinsamen Zeit als junge Assistenzärzte kenne, glaube ich das eher nicht. Zentis leidet, unter einigen anderen Dingen, an dem weitverbreiteten Musterschüler-Syndrom, ein Lob vom Herrn Lehrer, beziehungsweise jetzt aus dem Vital-Management, ist sein Tages-, Jahres- und Lebensziel. Deshalb wird er meiner Meinung nach den schönen Profit aus der Tagesklinik weitgehend an die Vital-GmbH weitergeben, und dort wird man kaum nachforschen, wie die beträchtlichen Summen zusammenkommen. Denn wie in jeder anderen Firma gibt es auch bei uns nur dann eine genaue Überprüfung, wenn ein Glied in der schmucken Vital-Kette mit seinen Erträgen hinter den Erwartungen zurückbleibt und nicht, wenn es besonders edel funkelt.
    Außerdem ist es zurzeit nicht meine Sorge, wer den Reibach mit den virtuellen Testkandidaten macht. Etwas anderes bereitet mir deutlich mehr Sorgen: Die Tatsache, dass sich Fröhlich noch immer nicht nach dem Zustand seiner Frau in der Charité erkundigt hat. Wie gesagt: Ein Geiselnehmer, auch ein müder, ist gefährlich. Ein Geiselnehmer, der keine Hoffnung mehr hat, erst recht.
    Endlich - Zeitempfinden ist etwas Subjektives -, endlich also meldet sich Celine wieder. Wir haben Glück, im Juni bestand kein Überangebot an Pharmatests, die Sommerferien standen vor der Tür. Einen Test hat Celines Malerfreundin Helga dann tatsächlich noch erwischt. Für hundert Euro durfte sie sich eine Sonnencreme mit garantiertem "Anti-Falten-Faktor" ins Gesicht

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