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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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was er mit Lentretien, mit Mestre oder Lefebure anfangen sollte. Aber er hatte schon vier Winde und drei Drachen, sieben von dreizehn Steinen, das konnte kein Zufall mehr sein.
    Und, fiel ihm plötzlich ein, wenn er sich nicht irrte und der Richter tatsächlich versuchte, die vierzehn Steine der Trumpfhand zusammenzukriegen, dann konnte Raphaël Lise nicht umgebracht haben. Die Entscheidung für Lise Autan verwies auf die Hand des Dreizacks und entlastete die seines Bruders. Doch seine eigene nicht. Der Name Noëlla Cordel erinnerte an keinerlei Trumpfart. Die Blumen, entsann sich Adamsberg, Camille hatte irgendwas von Blumen erzählt. Er beugte sich über die Spielanleitung. Die Blumen, Extra-Trümpfe, die man zwar im Blatt behält, die aber bei der Bildung der Mah-Jongg-Hand keine Rolle spielen. Verzierungen, gewissermaßen Nebenspielsteine. Zusätzliche, durch das Gesetz des Mah-Jongg erlaubte Opfer, die man nicht notwendigerweise mit dem Dreizack durchbohren mußte.
     
    Um acht Uhr morgens lauerte Adamsberg in einem Café darauf, daß die Stadtbibliothek öffnete, während er seine Uhren genauestens im Auge behielt, die Mah-Jongg-Spielanleitung repetierte und noch einmal die Namen der Opfer durchging. Gewiß hätte er auch Danglard anrufen können, doch sein Stellvertreter hätte sich angesichts dieser neuerlichen Verirrung sicher gesträubt. Erst hatte er ihm einen Untoten angedreht, dann einen Hundertjährigen und jetzt auch noch ein chinesisches Spiel. Aber ein chinesisches Spiel, das in Fulgences Kindheit sehr verbreitet gewesen war, selbst auf dem Lande und bei Camilles Großmutter.
    Jetzt wußte er, warum er in seiner Trunkenheit so dringend dieses Spiel von Camille gefordert hatte. Er hatte bereits im Hotelzimmer in Richelieu an die vier Winde gedacht. Er hatte mit den Drachen schon früher zu tun gehabt. Er hatte das Spiel gekannt, das die Kindheitsabende des Richters so geprägt hatte, und auch diese Hand, die im Gegensatz zur verstümmelten Hand des Vaters stand.
    Als die Bibliothek öffnete, lief er hinüber, und fünf Minuten später legte man ein dickes Herkunftswörterbuch für Namen und Nachnamen in Frankreich auf seinen Tisch. Mit derselben Spannung, mit der der Spieler würfelt und auf drei Sechsen hofft, faltete er seine Namensliste auseinander. Er hatte drei Tassen Kaffee getrunken, um seine durchwachte Nacht zu überstehen, und nun zitterten seine Hände wie die von Josette über dem Buch.
    Er sah zunächst unter Brasillier nach: abgeleitet von »brasier«, Glut, und »braise«, Kohle. Der Kohlenhändler. Ausgezeichnet, das Feuer, ein roter Drache. Dann suchte er nach dem verborgenen Sinn von Jeanne Lessart: Name einer Ortschaft, Essart, Essard, auch in der Bedeutung »lézard«, Eidechse. Ein grüner Drache. Etwas unruhiger schon machte er sich an Espir, in der Hoffnung, ihn auf dem Umweg über Respiration den Winden zuordnen zu können. Espir: altfranzösisch »Hauch«. Ein fünfter Wind, acht von dreizehn Steinen. Adamsberg fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, er hatte das beängstigende Gefühl, über riskante Hürden zu springen, die der Bauch des Pferdes nur streifen, an denen er aber auch aufreißen konnte.
    Das Unklarste lag noch vor ihm. Jenes rätselhafte »Fèvre«, das ihn vielleicht von seinem Wolkenschauflergerüst stürzen ließe. Fèvre: Schmied. Eine heftige Enttäuschung zog ihm den Magen zusammen. Fèvre, ein einfacher, verfluchter Schmied. Adamsberg lehnte sich zurück und schloß die Lider. Konzentrier dich auf diesen Schmied mit seinen Hammer in der Hand. Schmiedete er gerade die Spitzen des Dreizacks? Er öffnete die Augen wieder. Aus dem Schulbuch, in dem er einige Wochen zuvor Neptuns Bild betrachtet hatte, stieg ihm Vulcanus entgegen, der Gott des Feuers, dargestellt in der Figur eines Handwerkers vor dem Schlund eines glühenden Ofens. Der Schmied, der Herrscher über das Feuer. Er holte tief Luft und schrieb neben »Fèvre« hastig seinen göttlichen Schmied, das heißt den zweiten roten Drachen. Und ging weiter zu Lefebure: siehe Lefèvre, Fèvre. Dasselbe also, und damit ein dritter roter Drache. Ein Bild-Dreier. Zehn von dreizehn Steinen.
    Adamsberg ließ die Arme sinken und schloß einen Moment die Augen, bevor er die Hürden »Lentretien« und »Mestre« in Angriff nahm.
    Lentretien: Abwandlung von Lattelin, bedeutet soviel wie »Eidechse«. Grüner Drache, trug er auf der gegenüberliegenden Seite ein, in einer durch die zunehmende Verkrampfung seiner Hand

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