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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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reibend.
    »Ich weiß«, unterbrach er ihn. »Glauben Sie, daß ich nicht alle Zeit gehabt hätte, die Maße dieser Wunden immer wieder zu analysieren und miteinander zu vergleichen? Ich kenne sie auswendig. Ich weiß alles über ihre Abweichungen, ihre Tiefe, ihre Form, ihre Abstände zueinander. Aber bedenken Sie auch, daß Richter Fulgence nichts, aber rein gar nichts von einem gewöhnlichen Menschen hat. So dumm wäre er nicht gewesen, immer mit derselben Waffe zu töten. Nein, Danglard, der Mann ist geschickt. Aber er mordet mit seinem Dreizack. Der ist sein Symbol und das Zepter seiner Macht.«
    »Entscheiden Sie sich«, entgegnete Danglard. »Eine einzige Waffe oder mehrere? Die Wunden sind verschieden.«
    »Es kommt aufs gleiche raus. Das Auffallende ist doch, daß die Unterschiede zwischen den Abständen gering sind, Danglard, sehr gering. Die Abstände zwischen den Einstichen, seitlich oder von oben nach unten gesehen, schwanken, aber nur sehr wenig. Sehen Sie noch mal hin, Danglard. Bei allen Varianten übersteigt die Gesamtlänge der drei Wunden nie 16,9 Zentimeter. So war es auch beim Mord an Lise Autan, wo ich es als gesichert ansehe, daß der Richter seinen Dreizack benutzt hat: 16,9 Zentimeter, mit 4,7 Zentimetern Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Einstich und fünf Zentimetern zwischen dem zweiten und dem dritten. Schauen Sie sich die anderen Opfer an. Nummer vier, Julien Soubise, mit einem Messer getötet: 5,4 und 4,8 Zentimeter Abstand bei einer Gesamtlinie von 16,8 Zentimetern. Nummer acht, Jeanne Lessard, mit dem Stecheisen getötet, 4,5 und 4,8 Zentimeter, Gesamtlänge 16,2 Zentimeter. Die längsten Linien sind durch Stecheisen oder Schraubenzieher entstanden, die kürzesten durch Messer, wegen der Schärfe der Klingen. Aber nie ist die Linie länger als 16,9 Zentimeter. Wie erklären Sie sich das, Danglard? Daß acht verschiedene Mörder, die alle dreimal zustechen, in keinem Fall einen Abstand von 16,9 Zentimetern überschreiten? Seit wann gibt es eine mathematische Begrenzung, wenn jemand einem andern in den Bauch sticht?«
    Danglard runzelte schweigend die Stirn.
    »Was die andere Abweichung bei den Einstichen betrifft«, fuhr Adamsberg fort, »die nach oben und unten hin, so ist sie noch geringer: nicht mehr als vier Millimeter, wenn es sich um ein Messer handelt, und wenn es ein Stecheisen ist, noch weniger. Maximale Breite der Einstiche: 0,9 Zentimeter. Nicht mehr, in keinem Fall mehr. So breit waren sie auf dem Körper von Lise. Wie erklären Sie sich diese abgesteckten Maße? Mit einem Lineal? Mit einem Regelkodex für Mörder? Wo doch alle außerdem stockbesoffen waren und ihre Hand zitterte? Und sie alle an Gedächtnisverlust litten? Und blind drauflos schlugen? Und nicht einer hätte gewagt, über 16,9 Zentimeter Länge und 0,9 Zentimeter Breite hinaus zu stechen? Durch welch ein Wunder, Danglard?«
     
    Danglard dachte rasch nach und konnte sich den scharfsinnigen Argumenten des Kommissars nicht verschließen.
    Allerdings sah er nicht recht, wie die unterschiedlichen Wunden zu einer einzigen Waffe passen sollten.
    »Haben Sie die Forke eines Bauern vor Augen?« fragte Adamsberg und zeichnete schon eine Skizze. »Da wäre der Stiel, die verstärkte Querstrebe und hier die drei Zinken. Der Stiel und die Querstrebe bleiben, aber die Zinken wechseln. Begreifen Sie, Danglard? Die Zinken wechseln. Aber natürlich innerhalb des feststehenden Maßes der Querstrebe: und zwar 16,9 Zentimeter Länge und 0,9 Zentimeter Breite bei dem Gerät, das uns beschäftigt.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß der Mann die drei Zinken jedesmal abnimmt und provisorisch andere, wechselnde Klingen an der Querstrebe festschweißt?«
    »Sie haben’s erfaßt, Capitaine. Er kann das Gerät an sich nicht wechseln. Er hängt auf neurotische Weise daran, und diese Treue beweist seine Krankhaftigkeit. Das Gerät muß bleiben, das ist eine absolute Bedingung für ihn. Der Stiel und die Querstrebe sind seine Seele, sein Geist. Aber aus Sicherheitsgründen verändert der Richter jedesmal die Zinken und befestigt statt dessen Messerklingen, Stecheisen oder Klappmesser daran.«
    »So leicht ist Schweißen nun auch wieder nicht.«
    »Doch, Danglard, es ist ziemlich einfach. Und selbst wenn die Schweißnaht nicht sehr solide ist, vergessen Sie nicht, daß das Gerät nur ein einziges Mal benutzt wird. Um senkrecht einzudringen und nicht, um damit zu arbeiten.«
    »Dann müßte sich Ihnen zufolge der Mörder für

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