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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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vertiefte sich in diese Wunden. Er mußte seine Arbeit gründlich machen und versuchen, in der einen oder der anderen Hinsicht Gewißheit zu erlangen. Zweifellos, die drei Einstiche ergaben eine gerade Linie, oder doch beinahe. Und es stimmte, daß die Chance gering war, die Wunden perfekt nebeneinander zu setzen, wenn man dreimal zustach. Was tatsächlich an einen Dreizack denken ließ. Wie auch die Tiefe der Löcher, die nur durch die Kraft eines Werkzeugs mit Stiel möglich war, während ein Messer eher selten dreimal bis zum Schaft eindringt. Aber die Einzelheiten der Berichte zerstörten diese Hoffnung. Denn die benutzten Klingen unterschieden sich in Breite und Länge. Hinzu kam, daß auch der Abstand zwischen den Einstichen von einem zum anderen Fall variierte, ebenso wie ihre Anordnung. Nicht sehr, manchmal konnte eine der Wunden um drei oder zwei Millimeter leicht zur Seite oder nach vorn verschoben sein. Aber diese Abweichungen schlossen die Idee aus, daß nur eine einzige Waffe benutzt worden war. Drei sehr ähnliche Einstiche, aber nicht ähnlich genug, um ein einziges Werkzeug und eine einzige Hand zu beschuldigen.
    Außerdem waren all diese Fälle längst abgeschlossen und die Täter verhaftet worden, manchmal sogar mit Geständnissen. Allerdings handelte es sich, abgesehen von noch einem anderen Jugendlichen, der ebenso beeinflußbar und verstört war wie Raphaël, um arme Schlucker, umherirrende Säufer oder halbe Landstreicher, die alle bei ihrer Festnahme beachtlich viel Alkohol im Blut hatten. Es durfte kaum schwierig gewesen sein, diese zerrütteten Männer, die ohnehin zur Selbstaufgabe bereit waren, zu einem Geständnis zu bewegen.
     
    Danglard schob die dicke weiße Katze weg, die sich auf seine Füße gelegt hatte. Sie war warm und schwer. Er hatte ihr keinen anderen Namen gegeben, seitdem Camille sie vor einem Jahr, bevor sie nach Lissabon abgereist war, bei ihm zurückgelassen hatte. Damals war sie eine ganz kleine weiße Kugel mit blauen Augen gewesen, die er darum auch Die Kugel genannt hatte. Sie war nur langsam gewachsen und konnte weder Sessel noch Wände zerkratzen. Danglard schaute sie nie an, ohne an Camille zu denken, die in Selbstverteidigung auch nicht sehr bewandert war. Er hob die Katze hoch, indem er sie unter den Bauch faßte, griff das Ende einer ihrer Pfoten und kratzte mit seinem Fingernagel über das Hornpolster. Aber die Krallen kamen nicht heraus. Die Kugel war ein Fall für sich. Er setzte sie auf den Tisch und schließlich wieder auf seine Füße zurück. Wenn du dich wohl fühlst dort unten, dann bleib da.
     
    Keiner der verhafteten Täter, notierte Danglard, konnte sich an den Mord erinnern, was eine erstaunliche Häufung von Gedächtnisschwund war. In seinem Leben als Bulle hatte er zwei Fälle von Erinnerungsverlust nach einem Mord erlebt, man weigerte sich, das Grauen zu sehen, man leugnete die Tat. Aber diese psychologisch begründete Amnesie war keine Erklärung für die acht Übereinstimmungen hier. Der Alkohol dagegen schon. Wenn er selbst in jüngeren Jahren mal sehr viel getrunken hatte, war es ihm zuweilen passiert, daß er mit einem Filmriß aufgewacht war und ihm ein Stück fehlte, das seine Saufkumpane ihm dann am nächsten Tag nachlieferten. Er war kürzer getreten, nachdem er erfahren hatte, daß ihm einmal ein ganzes Publikum Beifall geklatscht hatte, als er in Avignon nackt auf einen Tisch gestiegen war und Vergil rezitierte. Auf lateinisch. Schon damals hatte er etwas Bauch, und bei dem Gedanken an das Schauspiel, das er geboten hatte, lief es ihm kalt über den Rücken. Sehr fröhlich, meinten seine Freunde, sehr charmant, seine Freundinnen. Ja, den vom Alkohol bewirkten Gedächtnisschwund, dieses neblige Biest, kannte er, aber wann es über einen hereinbrach, das war nie vorauszusehen. Manchmal erinnerte man sich, selbst sternhagelvoll, an alles und manchmal an nichts.
    Adamsberg klopfte zweimal leise an seine Tür. Danglard nahm die Kugel unter den Arm und ging öffnen. Der Kommissar warf einen kurzen Blick auf sie.
    »Und, wie geht’s ihr?« fragte er.
    »Wie soll’s schon gehen«, erwiderte Danglard.
    Thema abgeschlossen, Botschaft angekommen. Die zwei Männer ließen sich am Tisch nieder, und Danglard setzte das Tier wieder auf seine Füße, bevor er seine Bedenken angesichts dieser wirklichen oder vermeintlichen Serie von Morden erläuterte. Adamsberg hörte ihm zu, den linken Arm an sich gedrückt und mit der rechten Hand seine Wange

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