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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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die Gestalt des Richters auf einem Waldweg und einen Dreizack in der Scheune gründete? Auch er hätte an Adamsbergs Stelle verzweifelt nach einem Schuldigen gesucht, der an die Stelle seines Bruders treten konnte. Und hätte automatisch auf den Feind des Dorfes gezeigt.
    Ich liebte meinen Bruder mehr als mich selbst. Auf gewisse Weise, so schien ihm, hielt Adamsberg seit jener Mordnacht noch immer Raphaëls Hand in der seinen, allein gegen alle. Und entfernte sich so seit dreißig Jahren vom Kosmos der anderen, zu denen er nicht gehen durfte, ohne zu riskieren, daß er diese Hand losließ und seinen Bruder der Schuld und dem Tod preisgab. In diesem Fall konnten nur Raphaëls postum erwiesene Unschuld und seine Rückkehr in die Welt Adamsbergs Finger lösen. Oder aber, sagte sich Danglard und preßte seine Tasche an sich, das Eingeständnis, daß sein Bruder das Verbrechen begangen hatte. Wenn Raphaël getötet hatte, würde er es eines Tages zugeben müssen. Adamsberg konnte doch nicht sein Leben mit der Rechtfertigung eines Irrtums zubringen, der die Züge eines schreckenerregenden Greises trug. Falls der Inhalt der Akten in diese Richtung tendierte, wäre er gezwungen, sich dem Kommissar in den Weg zu stellen und ihm mit Gewalt die Augen zu öffnen, so brutal und schmerzlich das Unternehmen auch sein würde.
     
    Nach dem Abendessen, als die Kinder endlich in ihren Zimmern waren, setzte er sich bekümmert an seinen Tisch, mit drei Bieren und acht Akten. Alle waren viel zu spät ins Bett gegangen. Er hatte die unglückliche Idee gehabt, ihnen beim Abendessen die Geschichte mit der rauchenden Kröte, paff, paff, paff, und Explosion, zu erzählen, und sie hatte dringliche Fragen aufgeworfen. Warum explodierte die Kröte? Warum rauchte die Kröte? Welche Melonengröße erreichte sie? Flogen die Eingeweide sehr hoch? Funktionierte das bei Schlangen genauso? Danglard hatte ihnen schließlich jegliche Art von Experimenten verboten, jegliches Einführen von Zigaretten ins Maul welcher Schlange, Kröte oder welchen Salamanders auch immer, ebenso in das von Eidechsen, Hechten oder irgendeines anderen verdammten Viechs.
    Dann aber, es war bereits elf Uhr durch, waren die fünf Schulranzen gepackt, das Geschirr abgewaschen und die Lichter gelöscht.
     
    Danglard öffnete die Akten in ihrer chronologischen Reihenfolge und prägte sich dabei die Namen der Opfer, die Tatorte, Uhrzeiten und Personalien der Täter ein. Acht Morde, und alle, vermerkte er, in ungeraden Jahren begangen. Aber ein ungerades Jahr bedeutete allenfalls eine Chance auf zwei und ließ nicht einmal auf eine Fügung schließen. Allein die hartnäckige Überzeugung des Kommissars hatte eine Verbindung zwischen diesen so unterschiedlichen Fällen hergestellt, und für den Augenblick bewies nichts, daß ein einziger Mensch sie verursacht hatte.
    Acht Morde in ganz verschiedenen Gegenden, Loire-Atlantique, Touraine, Dordogne, Pyrenäen. Gewiß konnte man sich vorstellen, daß der Richter oft umgezogen war, um der Gefahr zu entgehen. Aber auch die Opfer waren von Alter, Geschlecht und Erscheinung her sehr verschieden: junge Leute und Greise, Erwachsene, Männer und Frauen, Dicke und Schlanke, Braun- und Blondhaarige. Was nur schlecht zur fixen Besessenheit eines Serienmörders paßte. Auch die Waffen unterschieden sich voneinander: Stecheisen, Küchenmesser, Klapp- und Jagdmesser, spitzgeschliffene Schraubenzieher.
    Danglard schüttelte entmutigt den Kopf. Er hatte gehofft, Adamsberg folgen zu können, aber die Summe dieser Unähnlichkeiten war dem ein ernsthaftes Hindernis.
    Bei den Wunden allerdings gab es schon Übereinstimmungen: jedesmal drei tief in den Körper gestoßene Löcher, unter den Rippen oder im Bauch, denen eine Schädelprellung vorausging, durch die das Opfer besinnungslos gemacht wurde. Trotzdem, wie hoch war, bei der Gesamtheit aller Morde, die seit einem halben Jahrhundert in Frankreich begangen worden waren, die Wahrscheinlichkeit, daß man drei Wunden im Bauch vorfand? Sehr hoch. Der Unterleib stellt eine breite, leicht zugängliche und verletzliche Zielscheibe dar. Und ergaben sich die drei Einstiche nicht auch aus einer gewissen Logik? Drei Einstiche, um sicherzugehen, daß das Opfer wirklich tot war? Statistisch gesehen, kam diese Zahl häufig vor. Sie hatte nichts von einem Markenzeichen oder einer besonderen Handschrift. Einfach drei Einstiche, etwas ziemlich Alltägliches irgendwie.
     
    Danglard öffnete eine zweite Dose Bier und

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