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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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den Boden schmeißen wollten. Zumindest haben wir das alle geglaubt, und das werden wir auch so sagen.«
    Der Lieutenant sah Adamsberg in die Augen und suchte seine Zustimmung.
    »Einverstanden, Noël.«
    Als er ihm die Hand gab, hatte Adamsberg das seltsame Gefühl, die Rollen hätten sich für eine kurze Zeit verkehrt.

13
     
    Adamsberg, die Reisetasche noch immer über der Schulter, zog seine Jacke fest um sich und lief lange durch die kalten Straßen. Er überquerte die Seine und stieg dann ziellos Richtung Norden hinauf, einen Wust von Gedanken im Kopf. Gern wäre er zu dem friedlichen Moment zurückgekehrt, als er drei Tage zuvor seine Hand an den kalten Brenner des Heizkessels gelegt hatte. Seitdem aber schien es nur noch Explosionen gegeben zu haben, wie bei der rauchenden Kröte. Mehrere Kröten, die in trautem Beisammensein geraucht hatten und kurz hintereinander explodiert waren. Ein Schwall von Eingeweiden, die als roter Regen niedergingen und ein Bilderchaos verspritzten. Der Richter, ein Untoter, der wie ein Torpedo wieder aufgetaucht war, die drei Löcher von Schiltigheim, die Feindseligkeit seines besten Mitarbeiters, das Gesicht seines Bruders, der Turm in Straßburg, 142 Meter, der Prinz, der zum Drachen wurde, die Flasche, die er vor Favre geschwungen hatte. Auch seine Wutanfälle, gegen Danglard, gegen Favre, gegen Trabelmann und auf eine niederträchtige Weise auch gegenüber Camille, die ihn verlassen hatte. Nein. Die er verlassen hatte. Er verdrehte die Dinge, wie den Prinzen und den Drachen. Wut auf alle. Also auch Wut auf Sie selbst, hätte Ferez ruhig gesagt. Scher dich zum Teufel, Ferez.
    Er blieb stehen, als er merkte, daß er in seinem wilden Gedankentaumel schon dabei war, sich zu fragen, ob wohl das Straßburger Münster, wenn man ihm einen ganzen Drachen ins Portal steckte, inhalieren und, paff, paff, paff, explodieren würde? Er lehnte sich mit dem Rücken an eine Laterne, sah um sich, ob ihm auch kein Neptun-Bild auf dem Bürgersteig auflauerte, und fuhr sich übers Gesicht. Er war müde, und seine Wunde schmerzte. Er schluckte zwei Tabletten, und als er aufsah, bemerkte er, daß ihn seine Schritte bis nach Clignancourt geführt hatten.
    Da war klar, was er zu tun hatte. Er bog nach rechts ab und lief auf das alte Haus von Clémentine Courbet zu, das eingezwängt in der Tiefe einer Gasse am Rande des Flohmarkts lag. Seit einem Jahr, seit dem großen Fall mit den Vieren, hatte er die alte Frau nicht mehr gesehen. Und es war auch nicht anzunehmen gewesen, daß er sie jemals wiedersehen würde.
     
    In einem plötzlichen Glücksgefühl klopfte er an die Holztür, hoffte, daß die Großmutter auch wirklich zu Hause wäre und sich gerade in ihrem Zimmer oder auf dem Speicher mit irgend etwas beschäftigte. Und daß sie ihn wiedererkennen würde.
    Die Tür öffnete sich vor einer dicken Frau in einem geblümten Kleid, die in eine verblichene blaue Küchenschürze gewickelt war.
    »Entschuldigen Sie, Kommissar, daß ich Ihnen nicht die Hand gebe«, sagte Clémentine und hielt ihm ihren Unterarm hin, »aber ich bin gerade beim Backen.«
    Adamsberg schüttelte den Arm der alten Frau, die ihre mit Mehl bedeckten Hände an der Schürze abwischte und wieder an ihren Herd zurückging. Beruhigt folgte er ihr. Clémentine konnte nichts in Erstaunen versetzen.
    »Stellen Sie doch Ihre Tasche ab«, sagte Clémentine, »machen Sie sich’s bequem.«
    Adamsberg setzte sich auf einen Küchenstuhl und sah ihr zu. Auf dem Holztisch lag ausgerollter Kuchenteig, aus dem Clémentine mit einem Glas Kreise ausstach.
    »Die sind für morgen«, erklärte sie. »Meine Kekse gehen nämlich gerade zur Neige. Nehmen Sie sich welche aus der Dose, ein paar sind noch übrig. Und dann gießen Sie uns zwei kleine Portwein ein, das dürften Sie jetzt wohl brauchen.«
    »Warum, Clémentine?«
    »Na, weil Sie in Schwierigkeiten stecken. Wissen Sie, daß ich meinen Jungen verheiratet habe?«
    »Mit Lizbeth?« fragte Adamsberg, während er sich vom Portwein und von den Keksen nahm.
    »Genau. Und Sie?«
    »Mir ist es andersrum ergangen.«
    »Nicht doch, hat sie Ihnen Ärger gemacht? Einem schönen Mann wie Ihnen?«
    »Im Gegenteil.«
    »Also lag es an Ihnen.«
    »An mir.«
    »Hm, das ist nicht schön«, verkündete die alte Frau und trank ein Drittel ihres Portweins aus. »Ein so nettes Mädchen.«
    »Woher wissen Sie das, Clémentine?«
    »Hören Sie mal, ich hab immerhin ein bißchen Zeit auf Ihrem Kommissariat verbracht.

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