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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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gewarnter Mann ist doppelt vorsichtig, der da aber war es tausendmal. Wenn er wieder in Paris war, würde er seine Strategie dieser neuen Bedrohung anpassen müssen, um den Beaucerons, die versuchen würden, ihm die Beine auszureißen, zu entkommen. Ich gebe dir einen Vorsprung, junger Mann. Ich zähle bis vier. Und nun lauf, Adamsberg, lauf.
    Wenn er sich nicht irrte. Er dachte an Vivaldi, der ihm über die Jahrhunderte hinweg dieses Warnzeichen sandte. Ein feiner Kerl, dieser Vivaldi, ein sehr guter Schumm, auf dem Wege über ein außergewöhnliches Quintett. Sein Wagen sollte ihn nicht umsonst hierhergebracht haben. Er hatte Camille eine Stunde aus ihrem Leben gestohlen und die wertvolle Warnung des Musikers empfangen. Wenn er inzwischen sogar die Toten hörte, konnte er auch Antonio Vivaldis Gemurmel vernehmen, und er war sich ziemlich sicher, daß er bei diesem Mann in guter Gesellschaft war. Ein Typ, der eine solche Musik hervorbringt, kann einem nur allerbeste Ratschläge zuflüstern.
     
    Erst gegen Ende des Konzerts entdeckte Adamsberg Danglard, dessen Augen auf seinem Schützling ruhten. Dieser Anblick machte jegliche Freude in ihm zunichte. In was mischte sich dieser Typ denn noch alles ein? In alles? In sein ganzes Leben? Bestens informiert über die Konzerte, saß er getreu auf seinem Posten, der nette, treue, tadellose Danglard. Scheiße, Camille gehörte ihm ja wohl nicht, verdammt noch mal. Was bezweckte der Capitaine also mit seinem Personenschutz? Wollte er in ihr Leben eindringen? Eine Mordswut erfüllte ihn gegen seinen Stellvertreter. Den Wohltäter mit dem leicht ergrauten Haar, der durch die Tür schlüpfte, die Camilles Kummer für ihn angelehnt gelassen hatte, Die Schnelligkeit, mit der Danglard verschwand, überraschte Adamsberg. Der Capitaine war um die Kirche herumgegangen und wartete, daß die Musiker herauskämen. Zweifellos, um zu gratulieren. Doch Danglard lud die Ausrüstung in einen Wagen, setzte sich ans Steuer und nahm Camille mit sich. Adamsberg fuhr ihnen nach, begierig, zu erfahren, wie weit sich die heimliche Aufmerksamkeit seines Stellvertreters wohl erstrecken mochte. Nach einer kurzen Rast und zehn Minuten Fahrt parkte der Capitaine und öffnete Camille, die ihm ein in eine Decke gehülltes Paket reichte, die Wagentür. Diese Decke und die Tatsache, daß das Paket einen Schrei ausstieß, ließen ihn schlagartig das Ausmaß der Situation begreifen.
    Ein Kind, ein Baby. Und seiner Größe und Stimme zufolge ein winziges, vielleicht einen Monat altes Baby. Regungslos sah er, wie sich die Haustür hinter dem Paar schloß. Danglard, du niederträchtiges Schwein, du gemeiner Dieb.
    Der bald wieder herauskam, Camille zum Abschied freundschaftlich zuwinkte und in einem Taxi verschwand.
    Guter Gott, ein Kind, dachte Adamsberg wieder und wieder, während er nach Hull zurückfuhr. Jetzt, wo Danglard die Rolle des Verführers abgelegt hatte, um wieder der gute, wohlwollende Capitaine zu werden – was seinen Groll auf ihn kaum schmälerte –, bündelten sich seine Gedanken um die junge Frau. Durch welchen unfaßbaren Taschenspielertrick traf er Camille mit einem Kind an? Ein Trick, der, fiel ihm in diesem Moment ein, den unverschämten Durchmarsch eines Mannes erforderte. Ein Baby im Alter von einem Monat, so rechnete er. Plus neun ergibt zehn. Camille hatte also nach ihrer Abreise nicht mehr als zehn Wochen gewartet, um einen Nachfolger für ihn zu finden. Adamsberg trat aufs Gas, plötzlich voller Ungeduld, diese verfluchten Karren da vor ihm, die mit der heiligen Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometern folgsam hintereinander her fuhren, endlich zu überholen. Der Tatbestand war eindeutig, und Danglard war von Anfang an darüber informiert gewesen, ohne einen Ton verlauten zu lassen. Gleichwohl verstand er, warum sein Stellvertreter ihm diese Neuigkeit erspart hatte, die ihm auch jetzt noch den Verstand raubte. Und warum? Was hatte er denn gehofft? Daß Camille ihre verlorene Liebe tausend Jahre lang still beweinen würde? Daß sie zu einem Standbild erstarren würde, das er nach Belieben wiederbeleben könnte? Wie in den Märchen? hätte Trabelmann gefragt. Nein, sie war einen Moment lang getaumelt, hatte weitergelebt und einen Kerl getroffen, so einfach war das. Herbe Wirklichkeit, auf die er schroff gestoßen war.
     
    Nein, dachte er, als er sich auf seinem Bett ausstreckte. Nein, er hatte nie wirklich begriffen, daß er Camille verloren hatte, als er Camille verlor. Einfache

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