Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Halbverrückten, die ihn am Kragen gepackt hielt. Die dermaßen überspannt war, daß er sicher sein konnte, sie am Dienstag am Flughafen auftauchen zu sehen, um sich bei ihm in Paris einzurichten. Er hätte es wissen müssen, hätte, als er sie so ungeniert und befremdlich auf diesem Stein sitzen sah, begreifen müssen, daß Noëlla nicht ganz bei Sinnen war. In den ersten Tagen hatte er sie denn auch gemieden. Doch dieses verdammte Erlebnis mit dem Quintett hatte ihn wie einen Dummkopf in die Fangarme dieses Mädchens getrieben.
    Das Essen und die schneidende Kälte, die mit der Nacht hereinbrach, gaben ihm wieder Kraft. Seine Verwirrung verwandelte sich in Wut. Verflucht noch mal, man durfte doch einen Kerl nicht so in die Falle locken. Er würde sie aus dem Flugzeug stoßen oder, käme sie selbst mit bis Paris, dort in die Seine schmeißen.
    Großer Gott, dachte er und stand auf, das ergab inzwischen eine Menge Wut und eine Menge Leute, die er Lust hatte niederzumachen oder gleich zu massakrieren. Favre, den Dreizack, Danglard, den Neuen Vater und jetzt noch dieses Mädchen. Wie Sanscartier gesagt hätte, er war verkehrt gespult. Und er verstand sich selbst nicht mehr. Weder seine mörderischen Wutanfälle noch diese Wolken, die er zum erstenmal nicht mehr schaufeln mochte. Diese wiederholten Erscheinungen von Untoten, von Dreizacks, von Bärenkrallenspuren und heimtückischen Seen begannen ihn zu bedrücken, und es schien ihm, als verlöre er die Kontrolle über seine eigenen Wolken. Ja, es war schon gut möglich, daß er verkehrt gespult war.
    Mit schleppendem Schritt erreichte er sein Appartement, indem er durch den Keller schlich wie ein Schuldiger oder ein Mensch, der sich selbst umzingelt hat.

26
     
    Während Voisenet mit Froissy und Retancourt unverzüglich zum Pinksee aufgebrochen war, zwei andere, den gewissenhaften Justin im Gefolge, erneut in die Bars von Montreal zogen und Danglard sein Schlafdefizit aufholte, verbrachte Adamsberg sein Wochenende damit, verstohlen umherzustreifen. Die Natur war ihm schon immer gut bekommen – mit Ausnahme des heimtückischen Sees –, und es war besser, in sie einzutauchen, als in diesem Appartement herumzulaufen, wo jeden Augenblick Noëlla aufkreuzen konnte. Bei Tagesanbruch schlich er hinaus, noch vor der Stunde, da jeder erwachte, und fuhr in Richtung Meechsee davon.
    Er blieb lange dort, schritt über die Holzbrücken, ging an den Uferrändern entlang und rieb seine Arme bis zu den Ellbogen im Schnee. Er hielt es für sicherer, nachts nicht nach Hull zurückzufahren und statt dessen in einer Herberge in Maniwaki zu schlafen, betend, daß bloß Shawi der Prophet nicht in seinem Zimmer erscheinen möge, um ihm seine erleuchtete Schülerin mit Gewalt zuzuführen. Er verbrachte den ganzen nächsten Tag damit, bis zur Erschöpfung durch die Wälder zu streifen, sammelte Birkenspäne, Blätter, röter als rot, und suchte nach einem Ort, wo er sich an diesem Abend vergraben könnte.
    Dichtung. Wenn er nun in dieser Poesie-Bar zu Abend aß? Der Vierzeiler lockte junge Leute nicht gerade an, und Noëlla würde nicht auf die Idee kommen, dort nach ihm zu suchen. Er ließ seinen Wagen ziemlich weit von seinem Quartier stehen und nahm den breiten Boulevard statt dieses verfluchten Pfads.
    Müde und ebenso verkrampft wie leer im Kopf, schlang er einen Teller Pommes frites hinunter und hörte zerstreut den Gedichten zu. Auf einmal saß Danglard neben ihm.
    »Schönes Wochenende gehabt?« fragte der Capitaine, offenbar auf Versöhnung aus.
    »Und Sie, Danglard? Besser geschlafen?« entgegnete Adamsberg nervös. »Der Verrat nagt am Gewissen und an den Nächten, er verbraucht, macht müde.«
    »Wie meinen Sie, bitte?«
    »Der Verrat. Ich spreche ja nicht Algonkinisch, wie Laliberté sagt. Monate der Geheimniskrämerei und des Schweigens, nicht gerechnet die tausendsechshundert Kilometer, die Sie in den letzten Tagen eingefahren haben aus Liebe zu Vivaldi.«
    »Ach«, murmelte Danglard und legte seine Hände flach auf den Tisch.
    »Sie sagen es. Applaudieren, die Ausrüstung tragen, heimbegleiten, die Tür öffnen. Ein wirklich ritterlicher Begleiter.«
    »Und weiter?«
    »Und davor, Danglard? Sie haben sich für den Anderen entschieden. Für den Typ mit den zwei Labradors und den neuen Schnürsenkeln. Gegen mich, Danglard, gegen mich.«
    »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Tut mir leid«, sagte Danglard und erhob sich.
    »Eine Sekunde noch«, sagte Adamsberg, indem er ihn am

Weitere Kostenlose Bücher