Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
1749 zu einem der meistverkauften Bücher der englischen Sprache überhaupt. Rund 100 Jahre danach hatte eine protestantisch sinnenfeindliche Bürgerschicht ein geistiges Klima geschaffen, in dem Erotik im öffentlichen Leben nichts mehr zu suchen hatte. Zwar waren bis in die Anfangsjahrzehnte des 19. Jahrhunderts Autoren und Maler schon vor die katholische Inquisition zitiert worden, wenn ihrer Kreativität allzu kesse Dinge entsprangen, doch die ersten echten, gesetzlich fixierten Verbote pornografischer und erotischer Werke datieren tatsächlich erst auf die Mitte des 19. Jahrhunderts. Es war der Beginn einer vordergründig prüden, in Wahrheit wohl eher verlogenen Epoche.
Denn generell dürfte die Erkenntnis, dass man die zur Arterhaltung oder zur Erfüllung des Willen Gottes leider nötige Produktion von Nachwuchs durchaus kurzweilig gestalten kann, auf eine Zeit zurückgehen, in der man »Apfel« höchstens mittels schlecht verständlicher Grunzlaute artikulieren konnte. So ist die nächstliegende Frage, die sich uns da heute stellt, schlicht diese: Können unsere Ur-Urgroßeltern wirklich dermaßen dämlich gewesen sein?
Es sieht so aus, zumindest ab einem gewissen Bildungs-und Gesellschaftsgrad. Die »höheren« Stände hatten sich in ein Korsett gesellschaftlicher Regeln gezwängt, die den Umgang miteinander, die Ansichten und Denkweisen bis ins letzte Detail regulierten. Ein Potpourri aus religiös-ideologischen Verklemmtheiten, als Wissenschaft missverstandenen »Erkenntnissen« der Antike, adligen und bürgerlichen Attitüden und Manierismen summierte sich zu einer effektiven Zwangsjacke, die die Wahrnehmung der Welt kanalisierte – offenbar bis hinein ins Intime und Emotionale. Ein Ausleben geistiger oder körperlicher Bedürfnisse, die den Wahrheiten und Normen der Gesellschaft entgegenstanden, war in bestimmten Schichten über lange Zeit nicht akzeptabel. Wer solche Bedürfnisse zu befriedigen suchte, brauchte dafür einen Erklärungskontext, ein Alibi, wenn man so will.
Das tut gut: Junge Frau mit White-Cross-Vibrator, unverfänglich präsentiert (ca. 1909)
Weibliche Sexualität war zu dieser Zeit rein zweckbestimmt, die Frau opferte sich ihr quasi, allein um die menschliche Art zu erhalten und Gottes Willen zu erfüllen. Dass eine dermaßen heilige Pflicht keinen Spaß machen konnte und durfte, war klar. Und dass so etwas einzig und ausschließlich im gottgesegneten Stand der Ehe passieren konnte, natürlich ebenfalls.
Wohl auch deshalb machte sich ab dem 17. Jahrhundert eine Krankheit breit, die man »Hysterie« nannte. Dieses lange als spezifisch weiblich wahrgenommene Syndrom äußerte sich in verschiedenartigen Verhaltensweisen, die dringend der Therapie bedurften – Wahnsinn drohte! Zum Glück gab es Hinweise aus antiker Zeit, wo die Ursachen des hysterischen Leidens zu suchen wären: In der Gebärmutter – »hystera« ist das griechische Wort für den Uterus.
Schon früh hatten Mediziner aus der Tatsache, dass die Hysterie vornehmlich Frauen im geschlechtsreifen Alter befiel, welche keinen oder nur ungenügenden Umgang mit dem männlichen Geschlecht pflegten, scharfsinnig abgeleitet, dass die Krankheit aus einer mangelnden Versorgung der Gebärmutter mit Spermien resultieren müsse. In solchen Fällen von »Trockenheit« beginne die Gebärmutter im Körper zu wandern und auf andere Organe zu drücken, was Unwohlsein verschiedenster Art verursachen könne. Mit Ausnahme von Kopfschmerzen vielleicht ließ sich auf diese Weise so ziemlich jedes Symptom erklären.
Zumindest wenn man(n) daran glauben wollte. Denn im Grunde war stets klar, dass das nicht die ganze Wahrheit sein konnte. Bereits seit dem 15. Jahrhundert gehörte zu den Diensten der Hebammen auch eine Form der Massage, die die hysterischen Beschwerden zumindest für eine gewisse Zeit zu lindern vermochte. Der neu aufkommende Berufsstand der Frauenärzte erbte diese Aufgabe als eine seine ersten und vornehmsten Pflichten.
Im 19. Jahrhundert erklärten die Frauenheiler diese Form der Massage als Herbeiführung eines sogenannten hysterischen Paroxsysmus. Das Wort bedeutet so viel wie »Anfall«, und man kann sich vorstellen, was damit gemeint ist. Im Verlaufe der Behandlung steigerte sich das hysterische Verhalten der Frauen oftmals bis hin zu einem krampfhaften Paroxsysmus. Immerhin führte dieser zuverlässig dazu, dass das hysterische Verhalten zurückging und die arme Patientin endlich Ruhe fand.
Nach dem Paroxsysmus also
Weitere Kostenlose Bücher