Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
ging es den kranken Frauen in aller Regel besser, obwohl dadurch natürlich keine anhaltende Heilung zu erreichen war. Sich die erneuten Hysterieanfälle von seinem Hausarzt oder einer Hebamme wegmassieren zu lassen, gehörte zum Glück zu den gesellschaftlich völlig anerkannten Maßnahmen für die Frau von Welt.
Mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und der zeittypischen Verwissenschaftlichung aller möglicher Themen zeichnete sich allerdings immer klarer ab, dass man sich die Ursachen der Hysterie vielleicht doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen sollte. An Gebärmutterwanderung glaubte natürlich niemand mehr. Für eine Weile behielt man die These vom spermienunterversorgten Uterus allerdings noch bei, behauptete nun allerdings keine physische Wanderung des Organs durch die Welt des Körpers mehr, sondern eine Auslösung negativer Symptome durch die Gebärmutter selbst, vergleichbar mit einer Entzündung.
Im Jahr 1857 beschrieb der Hamburger Arzt Theodor Wittmaack in seinem Buch Die Hysterie in pathologischer und therapeutischer Beziehung in zeittypisch geschraubter Form den Erkenntnisfortschritt. Gerade praktische Ärzte wie er dürften ebendiesen vor allem ihrer empirischen Erfahrung zu verdanken gehabt haben, was sich in der Qualität, Ehrlichkeit und relativen Direktheit der Beobachtung spiegelt. Kein Zweifel, es war Zeit für klare Worte, auch wenn das manch einen empfindlich berührt haben mag.
Wittmaack schrieb:
Es hat Zeiten gegeben, wo man den Uterus und die vermeintlich von ihm aufsteigenden Dünste als alleinige Faktorei der in Rede stehenden Krankheit betrachtete, und es gab andere, wo die Neigung das Übergewicht gewann, hysterische für Geistes- (d. h. Gehirn-) Leidende zu halten. ( …) Dass die Krankheit vorzugsweise nur beim weiblichen Geschlecht auftritt und hier nie anders, als nach erlangter GeschlechtsReife, wäre zur allgemeinen Orientierung ausreichend gewesen. Es geht daraus hervor, dass jedenfalls die sexuelle Sphäre zur Erzeugung derselben die vornehmste Rolle spielt.
Soll heißen: Irgendwie hätte einem schon mal auffallen können, dass diese Sache mit der Hysterie irgendetwas mit Sexualität zu tun haben könnte.
Die Praktiker wussten das aus langer, teilweise sehr langer Erfahrung. Man kann sich vorstellen, dass ein Frauenarzt-Arbeitstag mitunter ganz schön mühselig ausfallen konnte – zumal, wie die medizinische Fachliteratur schon sehr früh anmerkte, hysterische Frauen andere Frauen regelrecht anzustecken schienen. Ärzte beobachteten schon früh, dass die erfolgreiche Behandlung bedürftiger Patientinnen oft auch von der Behandlung derer Freundinnen gefolgt war.
So positiv zu bewerten es sein mag, wenn sich Patienten die Dienste guter Ärzte weiterempfahlen, trachtete man natürlich danach, der Hysterie lieber mit Vorbeugung entgegenzuwirken. So gehörte insbesondere bei jungen Mädchen zu den traditionellen Präventionsmaßnahmen die rechtzeitige Verheiratung oder, wo das noch nicht angezeigt war, die konsequente Beschäftigung der jungen Frau mit Aufgaben und Themen, die keinen Raum für Sehnen nach Samen lassen sollten.
Ein schwieriges Unterfangen, das zudem regionalen und kulturellen Unterschieden unterworfen war. So wies auch Wittmaack in seiner bahnbrechenden Studie darauf hin, dass bereits 12 Jahre junge Mädchen hysterisch werden könnten. Die physiologische Ursache hierfür entdeckte der Wissenschaftler, der als einer der Begründer der Neurologie gilt, nüchtern analysierend in »den verschiedenen Reifungs-Perioden«, die nicht überall gleich abliefen.
Wittmaack wusste:
Im Norden gibt es keine hysterischen Individuen dieses Alters, weil die GeschlechtsReife später, oft erst mit dem 18.–20sten Jahre (ja, in Gebirgs-Gegenden noch später) vollständig eintritt. Öfter dagegen ist die Hysterie eine so frühzeitige Plage unter südlichen Himmelsstrichen ( …). Aus diesem Grund konnte schon J. Frank darauf aufmerksam machen, dass die Hysterie häufiger in Italien vorkomme.
Tatsächlich! Verwunderlich ist nur, dass sich niemand fand, das interessante Leiden auf klimatische Ursachen hin zu untersuchen – als naheliegende Faktoren wären doch Temperatur oder Luftdruck denkbar gewesen.
Klar schien den Experten der Zeit, dass der Bedarf der Behandlung hysterischer Symptome zwar bei Witwen groß sei, im Klimakterium aber nachlasse.
Zu klären blieb jedoch das Henne-Ei-Problem der Hysterie: Waren die sexuell anmutenden Symptome nun Ausdruck eines
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