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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Patalong
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zugestand, der nach Befriedigung strebte (und wo das nicht gegeben war, Probleme verursachen konnte). Gleichzeitig sei das aber nicht immer ursächlich zu nehmen für eine hysterische Erkrankung. Unter Hysterie konnte man also auch leiden, ohne auf sexuellem Entzug zu sein. Trotzdem schien natürlich genau das meistens der Fall. Der Hinweis auf die soziale Komponente bleibt wertneutral und unerklärt, man muss ihn selbst zu Ende denken: Wenn so etwas vor allem in bestimmten Schichten vorkommt, muss das etwas mit deren Lebensweise zu tun haben. Und eben mit körperlichen Bedürfnissen, die im Rahmen dieser Lebensweise nicht hinreichend befriedigt werden.
    Medizinern war das spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts völlig klar, sofern sie den Gedanken an sich heranließen. Die Pragmatiker unter ihnen sahen sich als eine Art Spannungslöser: Als ein Dienstleister, der etwas für seine tugendhafte Patientin tut, das diese selbst nicht tun kann und soll – denn sich selbst zu »manipulieren«, also zu masturbieren, galt nicht nur als untugendhaft, sondern sogar als gesundheitsschädlich. Nicht nur bei Jungen, denen man zumindest einen natürlichen Trieb zuerkannte, den sie nur zu unterdrücken hatten, drohten Wirbelsäulenleiden und geistige Verkümmerung!
    Es ist heute sehr schwer vorstellbar, wie Menschen je so dumm sein konnten, derart gegen die eigene Natur zu leben. Die 100 Jahre ab 1850 brachten Extreme im Umgang mit dem Thema Sexualität hervor. Einerseits wurde die Sache pragmatisch gehandhabt, indem man für Befriedigung sorgte und zugleich aber abstritt, dass dies irgendetwas mit Sexualität zu tun hat. Andererseits gab es vor allem in Bezug auf Kinder in Mitteleuropa sadistische Methoden, Lust zu unterdrücken: Mit Spitzen besetzte Penisringe, die Erektionen verhindern sollten. Nachthemden, die es wie Zwangsjacken unmöglich machten, dass sich Heranwachsende selbst berühren. Und ganz und gar nicht lustige Praktiken wie die Klitoralbeschneidung, die wir heute nur noch mit stark religiös geprägten, in Bezug auf Frauenrechte rückständigen Kulturen verbinden. So etwas gehörte noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu den medizinischen Methoden, mit denen man beispielsweise in England nervöse Leiden und hartnäckige Hysterie bekämpfte. Andere Ärzte experimentierten derweil mit Elektroschocks.
    Ärzte, zu deren Behandlungsmethoden die Massage gegen Hysterie gehörte, ersehnten derweil ganz andere maschinelle Hilfe. Dass die Frau sich mithilfe von Gegenständen Befriedigung verschaffen kann, wusste man schon seit dem Neolithikum. Es gibt spätsteinzeitliche Dildos, solche aus dem chinesischen Kaiserreich oder aus dem alten Rom. Der Gedanke, dass so etwas erheblich nützlicher wäre, wenn man die ganze Arbeit nicht selbst erledigen musste, bis Finger und Handgelenke schmerzen, kam nicht nur Ärzten offenbar schon vor 250 Jahren. Der erste dokumentierte Vibrator wurde von dem jesuitischen Geistlichen und Aufklärer Charles-Irénée Castel de Saint-Pierre im Jahre 1734 gebaut: Sein Tremoussoir zitterte und vibrierte dank eines mechanischen Federwerks, das man mittels eines Schlüssels aufziehen musste. Das pikante kleine Spielzeug wurde jedoch kein Massenartikel. Das passierte erst zur viktorianischen Zeit, die wir heute für eine der prüdesten Perioden der Menschheitsgeschichte halten.

    Eingeleitet wurde das 1869 durch den amerikanischen Arzt George Taylor: Sein Manipulator war ein per Dampfmaschine betriebenes medizintechnisches Gerät von höchster Effektivität. Mit seiner Hilfe konnte eine unter Hysterie leidende Patientin sich – natürlich unter ärztlicher Aufsicht – selbst zum Paroxsysmus-Anfall bringen. Der vibrierende Fortsatz lugte aus einer Liege hervor, unter die die eigentliche Maschine montiert war. Das Anheizen des Dampfkessels übernahmen Heizer außerhalb des Behandlungsraums, der Dampf selbst wurde über Rohre zugeführt.
    Nicht nur bei den Ärzten schlug das ein wie eine Bombe. In den folgenden Jahren stellten findige Tüftler immer neue Varianten solcher Behandlungsgeräte vor. Mechanische Modelle gab es darunter, druckluftbetriebene und auf pulsierenden Wasserstrahlen basierte.
    Etwas Derartiges bot selbst der berühmt-berüchtigte John Harvey Kellogg in seinem Battle Creek Sanatorium an. Kellogg war Miterfinder der Cornflakes, vor allem aber ein Arzt und religiöser Fanatiker, der selbst seiner Adventisten-Freikirche irgendwann zu fromm wurde: Diese warteten eigentlich nur noch

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