Der Visionist
Worauf warteten sie? Jede Nacht trafen er und seine vier Männer sich um Mitternacht auf einem privaten Internetforum und erwarteten ihre Instruktionen. Jeder wusste genau, was er zu tun hatte.
Sobald der Befehl kam, würden sie alle am darauffolgendenTag nach Arbeitsschluss, wenn die ersten Arbeiter gingen, mit einer Ausrede zurückbleiben. Einer würde auf die Toilette gehen, ein anderer einen Anruf von seiner Frau bekommen. Ein Dritter würde stolpern, sich den Knöchel verstauchen und sich ein paar Minuten hinsetzen. Ein Vierter würde bei ihm bleiben, um ihm zu helfen. Ein Fünfter würde länger als nötig dafür brauchen, die Unordnung an seinem Arbeitsplatz zu beseitigen. Nachdem alle Arbeiter die Baustelle verlassen hatten, würde das Team sich im Lagerraum versammeln und die Sprengstoffgürtel entrollen, die sie hereingeschmuggelt hatten. Sie waren aus Stoff hergestellt; jeder konnte zehn drei Zentimeter lange Semtex-Zylinder aufnehmen. Die Männer würden die Zylinder mit roten Sprengkabeln verbinden. Die elektrische Schwingung eines klingelnden Handys würde die Detonation auslösen. Sie wussten noch nicht, wann der Plan umgesetzt werden würde, aber er sah vor, die Sprengstoffgürtel sichtbar zu tragen, sodass niemand auf die Idee kam, den Helden zu spielen. Das Ziel war, die Statue aus dem Museum zu schaffen, nicht, ein Blutbad zu veranstalten.
Talbot hatte die Eimer fertig arrangiert und stand auf. „Ich bin so weit.“
Der Wächter sah sich um, streifte die Eimer, Wände, Abdeckplanen und Werkzeuge mit einem flüchtigen Blick. „Wann ist das alles eigentlich fertig?“
Talbot dachte an die beiden möglichen Antworten, die er dem Mann geben konnte. Die eine, die er erwartete, wäre der vom Museum angesetzte Termin der Fertigstellung; die andere sein Tipp, wann dieser Job auf ganz andere Weise beendet sein würde. Und das schon sehr bald.
54. KAPITEL
Paris, Frankreich
Nach drei intensiven Verhandlungstagen kontaktierte am Samstagnachmittag Darius Shabaz’ Anwalt das FBI und stimmte seinen Bedingungen zu: Sein Mandant war bereit, mit ihnen zu reden, wenn ihm Strafminderung gewährt würde, allerdings nur in Paris. Sieben Stunden später nahmen Lucian und Matt Richmond den letzten Air-France-Flug vom Kennedy Airport. Sie kamen am frühen Sonntagmorgen übernächtigt und ungeduscht in Paris an und nahmen sich ein Taxi zu ihrem Hotel am linken Ufer der Seine.
„Wer hat die Reservierungen gemacht?“, fragte Lucian, als der Taxifahrer sich der Adresse 9 Rue de l’Université näherte und er den Namen des Hotels in Messinglettern auf dem marmornen Türsturz lesen konnte.
„Jemand im Büro. Warum?“
„Der Name des Hotels …“ Lucian zeigte auf das Schild, auf dem Hôtel Lenox stand.
„Was ist damit?“
Aber der Taxifahrer hatte vor dem Hotel angehalten, und für Erklärungen war keine Zeit mehr.
Während Matt den Fahrer bezahlte, holte Lucian ihr Gepäck aus dem Kofferraum. Erst nachdem sie eingecheckt hatten, ihre Reisetaschen in ihren Zimmern abgestellt und sich unten zum Kaffee getroffen hatten, war für Matt Gelegenheit, herauszufinden, was Lucian am Namen des Hotels so überrascht hat te.
„Frederick L. Lennox war Gründungsmitglied des ursprünglichen Phoenix Clubs. Elgin hat jede Menge Korrespondenz von ihm gefunden, die an Talmage gerichtet war. Die Kopien müssen irgendwo auf deinem Schreibtisch liegen.“
„Zu diesem Kram bin ich noch nicht gekommen …“
Lucian lachte. „Das wirst du auch nie. Dein Schreibtisch ist ein schwarzes Loch.“
Der Kellner erschien mit Café au lait und Croissants. Während Matt zwei gehäufte Teelöffel Zucker in seinen rührte, erzählte Lucian weiter und trank dabei von seinem heißen Kaffee.
„Lennox wollte die Sanskritliste der Erinnerungswerkzeuge untersuchen, die der Gesellschaft für Erinnerungsforschung gehörte. Er hatte vor, nach Österreich zu fahren und sie sich anzusehen. Es gibt keine Briefe, die dokumentieren, ob er es je getan hat. Aber wir wissen, dass er eine Statue erstanden hat, die in Persien ausgegraben wurde – und von der er glaubte, dass sie ein Erinnerungswerkzeug enthielt. Diese Statue hat er dem Metropolitan Museum of Art vermacht.“
„Reden wir hier von derselben Statue, die Darius Shabaz haben wollte?“
„Das wäre gut möglich. Lennox hat dem Met über hundert Artefakte vermacht, alle aus dem Mittleren Osten.“
„Es könnte eine Verbindung zwischen Hypnos und der Phoenix Foundation geben? Warum
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