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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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sie die Pose aufgab, zu ihm herüberkam und sich ansah, was er gemalt hatte. Sie musterte das Bild, sagte aber nichts. Dann trat sie zwischen ihn und das Bild, verstellte ihm die Sicht darauf, sah ihn an und flüsterte mit einer Stimme, die dankbar und freudig erregt klang, als hätte er ihr ein wunderbares Geschenk gemacht: „Danke, dass du mich so siehst.“
    Lucian setzte sich auf die Bettkante, legte die Hände um ihre Taille und zog sie an sich, sodass sein Gesicht an ihrem Bauch ruhte. Ihre Haut war glatt und warm, und indem er seine Zunge wie den Pinsel einsetzte, den er eben niedergelegt hatte, bemalte er sie mit zarten, unsichtbaren Küssen, hier und da, und dann küsste er sie weiter, und mit jedem neuen Teil ihres Körpers, den seine Lippen erkundeten, wölbte sie den Rücken etwas mehr. Sie packte seinen Kopf und vergrub die Finger in seinem Haar, zog ihn noch näher an sich und stöhnteleise. Jetzt klang sie alles andere als zerbrechlich. Ihre Lust war völlig frei von Schmerz. Lucian hörte Lachen und Begehren, ein verblüffend freudiger Laut, diese Musik ihres Liebesspiels, und er küsste sie, damit er sie weiter hören konnte. Sie strömte in all die dunklen Spalten seiner Seele und hob ihn empor.
    Mit einem heimlichen Lächeln setzte sich Emeline auf ihn und ließ sich mit quälender Langsamkeit auf seinem Schwanz nieder, und als er seine Arme fester um sie schlang, zog auch sie sich zusammen und hielt ihn fester in sich. Bevor es ganz um ihn geschehen war, sah er sie klar vor sich, im dramatischen Kontrast von Licht und Schatten, mit zurückgeworfenem Kopf und einem Gesichtsausdruck, den er würde beschreiben können. Ihm wurde klar, dass er sie im falschen Moment gemalt hatte. Das war Kunst, diese Ekstase; das war es, was alle einfangen wollten und ausdrücken, diesen Augenblick, wenn die Sinne übernahmen und kein Gedanke mehr fassbar war, nur das pure Sein.

53. KAPITEL
    „Was hast du heute zum Mittagessen mit, Larry?“, fragte der Wachmann den Bauarbeiter mit dem kurz geschorenen Haar, der jeden Tag dieselbe überdimensionierte Lunchbox dabeihatte wie er.
    „Zwei Brötchen mit Buletten. Willst du eins? Bist du wieder am Verhungern?“
    „Kannst du laut sagen!“ Der Wachmann lächelte und hakte den Daumen in seinen Gürtel. „Aber nein danke, lass gut sein.“
    Larry Talbot grinste dem Wachmann zu, schwang die Lunchbox von einer Hand in die andere und ging durch die Sicherheitsschranke ins Museum. Er hatte sein Mittagessen schon öfter mit Tommy geteilt, und es wäre keine große Sache gewesen, es wieder zu tun, wenn der Wachmann ihn um ein Sandwich gebeten hätte. Larry wusste genau, welches der beiden Brötchen mit Fleischklopsen in Marinara-Soße belegt war und welches in Semtex-Plastiksprengstoff.
    Von den zwanzig Arbeitern, die das Metropolitan Museum of Art an diesem Morgen betraten, hatten fünf Plastiksprengstoff dabei, entweder in ihren Sandwiches oder versteckt in Zigaretten- oder Kaugummipäckchen.
    Die Sicherheitskontrollen für Museumsangestellte waren morgens nicht so streng wie abends. Tommy nickte jedem Ankömmling zu, und wenn er jemanden nicht kannte, hielt er ihn an und fragte nach seinem Ausweis. Da der Bautrupp der Firma Philips seit Jahrzehnten im Museum ein- und ausging, kannte Tommy die meisten Männer vom Sehen. Angestellte wurden nicht durch den obligatorischen Röntgenscanner geleitet, und der Wachmann benutzte morgens seinen Stabscanner nicht. Wirklich überprüft wurde nur, wenn Neuzugänge die ersten paarmal zur Arbeit kamen. Abends war die Sicherheitsüberprüfung strenger, und jede Aktenmappe, Lunchbox,Rucksack oder Einkaufstasche wurde inspiziert, um sicherzugehen, dass niemand Kunstwerke oder Artefakte aus dem Gebäude schmuggelte.
    Aber selbst wenn der Scanner eingesetzt wurde, hätte die geschmeidige Masse keinen Alarm ausgelöst und wäre auch nicht als verdächtig auf dem Bildschirm erschienen.
    Fünf Tage hintereinander hatten fünf Arbeiter etwas in das Museum gebracht, das sie am Abend nicht wieder mit hinausnehmen würden, aber Don Albertson, der langjährige Mitarbeiter, der nach Victor Keithers Tod für ihn eingesprungen war, fiel an diesen fünf Männern nichts Ungewöhnliches auf. Sie waren keine Clique, arbeiteten gut mit ihren Kollegen zusammen. Keiner von ihnen hatte jemals Ärger gemacht.
    Später würde man bemerken, dass sie alle innerhalb von drei Wochen eingestellt worden waren, um die Arbeiter zu ersetzen, die von Manhattan

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