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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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Beryl litt zwar an Arthritis, doch ihre Finger blieben geschlossen wie die geschnitzten Klauen der antiken Sessel.
    „Du tust mir weh. Das ist nicht gerade klug von dir, Malachai.“
    Dreißig Sekunden lang hielten sie ihre Hände umklammert, reglos und voller Feindseligkeit standen sie sich auf beiden Seiten des Schreibtisches gegenüber, der Trevor Talmage gehörte, als er vor über hundertfünfzig Jahren den Phoenix Club gegründet hatte. Es war derselbe Schreibtisch, an dem Trevor Talmage ermordet aufgefunden worden war.
    Malachai spürte, wie der Griff seiner Tante fester wurde, doch bevor er überhaupt ahnen konnte, was sie vorhatte, hob Beryl ihren Stock, schlug damit zu und brach sein Handgelenk. Er konnte nicht anders, er musste sie loslassen und seine Hand an sich pressen. Es tat wahnsinnig weh … Und während er noch gegen den Schmerz ankämpfte, steckte sie sich die Kassetten in die Tasche und humpelte zur Tür. Dabei stützte sie sich schwer auf den Ebenholzstock, als hätten die letzten paar Minuten sie alle Kraft gekostet.
    Als sie den Raum durchquert und Abstand gewonnen hatte, drehte sie sich zu ihm um. „Noch ein paar Dinge zu deiner Information: Ich habe Nina Keyes angerufen. Sie weiß über alles Bescheid und wird verhindern, dass du ihre Tochter noch einmal zu Gesicht bekommst. Wir haben auch James Ryan gewarnt, dass er keine Anrufe von dir annehmen soll. Diesen Schläger, Reed Winston, haben wir ausbezahlt. Unser Anwalt hat ihn vorgewarnt, dass wir der Polizei seinen Namen geben werden, sollte irgendetwas passieren. Ich weiß noch nicht, was wir mit dem Bibliothekar machen werden, den du eingestellt hast. Er scheint nicht in diesen ganzen Wahnsinn verwickelt zu sein, aber unser Anwalt überprüft gerade seine Empfehlungsschreiben. Wenn er wirklich ein echter Bibliothekar ist, dann biete ich ihm vielleicht sogar eine Vollzeitstelle an.“ Damit drehte sie sich um und verließ das Büro.
    Erst jetzt schmeckte Malachai das Blut in seinem Mund, und er merkte, dass er sich innen in die Wange gebissen hatte.Das war ihm nur einmal in seinem Leben passiert – in der Nacht, als sein Vater ihm gesagt hatte, wie enttäuscht er von ihm sei, und dass von seinen beiden Söhnen der Falsche gestorben sei. Malachai spuckte Blut in sein Taschentuch. Panik stieg in ihm hoch.
    Das konnte ihm nicht wirklich passieren! Es war unvorstellbar! Er war der Vorsitzende der Phoenix Foundation! Mit dem Finger fuhr er über den Griff der Pistole in seinem geöffneten Aktenkoffer. Im Licht der Lampe leuchtete das schimmernde Metall, und die Gelb- und Blautöne in der Perlmutteinlage blitzten auf. Er griff nach der antike Waffe, und obwohl ein pochender Schmerz in sein gebrochenes Handgelenk fuhr, wechselte er sie nicht in die linke Hand. Die Schmerzen lenkten ihn wenigstens von den viel stärkeren, viel gnadenloseren Qualen ab. Malachai drückte die Pistole an seine Schläfe. Das kühle Metall fühlte sich an wie eine zärtliche Berührung.
    Die Waffe hatte einmal Davenport Talmage gehört. Wenn man den Gerüchten glaubte, dann hatte er damit seinen Bruder Trevor erschossen, danach den Phoenix Club übernommen, die Witwe seines Bruders geehelicht und das Vermögen geerbt, das sonst auf den älteren Sohn übergegangen wäre.
    Malachai spielte mit dem Auslöser herum. Dann wurde ihm klar, dass die Pistole gar nicht geladen war, und er kam sich wie ein Idiot vor. Er sank in den Stuhl und ließ die Waffe los, die krachend auf den Boden fiel. Wie konnte Beryl ihn einfach so absetzen? Er war ihr Neffe, der einzige Familienangehörige, der ihr noch geblieben war. Malachai schloss die Augen und sah nur noch schwarze Weiten vor sich. Er konnte seine Position nicht aufgeben … und auch seine Suche nach den Erinnerungswerkzeugen nicht! Er musste Beryl davon überzeugen, dass sie alles rückgängig machte. Ein oder zwei Tage würde er warten und dann mit ihr reden. Es wäre nicht das erste Mal; im Lauf der Jahre hatte er sie von allem Möglichen überzeugen können. Reden war eine seiner großen Stärken.Damit hatte er schon viel erreicht. Damit würde er auch diese Sache wieder zurechtbiegen.
    Er ließ den Aktenkoffer mit einem Schnappen zufallen und stand auf. Er hatte nicht damit gerechnet, dass seine Beine zitterten. Das konnte er nicht zulassen. Er war stärker als Beryl, stärker als sie alle. Malachai holte tief Luft und konzentrierte sich auf das, was vor ihm lag.
    Zum Abschied drehte er sich nicht noch einmal um für einen

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