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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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gibt es eine Freundin.
    »Für die interessieren Sie sich doch, oder?«
    Sie hielt die Tür auf und führte sie in einen kleinen Gang, der mit Rigipsplatten von einem Raum mit hoher Decke abgetrennt worden war. Als er die aufgesprühten Phantasiebilder an der Wand sah, eine Frau mit silbernen Brüsten, Motorradhelden mit langen Mähnen, glänzende Motorräder mit Spoilern und Drachen, zupfte Essex Caffery am Ärmel.
    »Sehen Sie sich bloß diesen bizarren Plunder an« , zischte er,
als sie der Frau ins vordere Zimmer folgten. Hier war die Decke mit indischen Schals behängt, die mit Spiegeln und Quasten gesäumt waren, und neben einer Lavalampe stand eine afghanische Wasserpfeife aus Teakholz.
    »Ich kenne sie bloß flüchtig.« Sie nahm ein orangefarbenes Kissen vom Sofa und klopfte es auf. »Mein Sohn würde wissen, wie sie heißen, aber er ist im Urlaub…« Sie hielt inne, während das Kissen herunterbaumelte, und die drei sahen sich verwundert schweigend an. Plötzlich lachte sie.
    »Oh, es tut mir leid, ich habe mich nicht vorgestellt.« Sie legte das Kissen weg und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Verzeihen Sie mir bitte.« Sie streckte Caffery die Hand entgegen. »Ich heiße Mimi Cook. Ich bin hier ständig am Rumräumen und versuche die Wohnung sauberzuhalten, daß ich manchmal ganz vergesse, daß es nicht meine Wohnung ist.«
    »Cook?« murmelte Essex und sah über seine Schulter, als könne jemand hinter ihm hereinkommen.
    »Das stimmt. Es ist die Wohnung meines Sohnes. Ich bin sein persönliches Aufräumkommando.«
    »Mrs. Cook.« Caffery verbarg seine Überraschung nicht. Er trat vor und schüttelte ihre Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
    »Ganz meinerseits. Also …« Sie legte beide Hände auf Essex’ Schulter und schob ihn sanft zur Seite, damit sie aus der Tür gehen konnte. »Eine Tasse Tee, und dann können wir übers Geschäftliche reden.«
    Während sie in der Küche herumklapperte, machten sich Essex und Caffery an die Arbeit, Essex sah die Buchtitel durch und zog die Augenbrauen hoch, als er eine Ausgabe der Hundert Tage von Sodom aus den fünfziger Jahren und einen schmalen Band von Klossowskis Sade Mon Prochain entdeckte, die zwischen Büchern von Kerouac und Colin Wilson eingeklemmt waren, während Caffery, der sich bewußt war, wie müde er in dem Spiegel über dem Kamin aussah, mit den Fingern über die Oberflächen strich und die Sammlung von Schalen
und Aschenbechern auf dem Kaminsims untersuchte. Er fand einen Stapel abgelaufener, mit einem Gummiband zusammengehaltener Fahrausweise, von denen ihn Cooks sommersprossiges Gesicht anstarrte, daneben fand sich ein kleines gerahmtes Schwarzweißbild. Es zeigte Mrs. Cook, Jahrzehnte jünger, in einem Seersuckerbadeanzug, mit zurückgekämmtem dunklen Haar. Sie saß auf einer Karodecke, die über einen Kiesstrand gebreitet war, und sah mit zusammengekniffenen Augen in die Kamera. Auf ihren Knien saß ein weißhaariger kleiner Junge in Badehose, der zu beiden Seiten starr die Arme hinunterhängen ließ. Seltsamerweise trug der Dreikäsehoch eine dunkle Sonnenbrille, deren großer Rahmen über sein Gesicht hinausstand, was ihm das eigenartige Aussehen eines kleinen Käfers verlieh. Als Mrs. Cook mit dem Tablett voller Tassen zurückkam, nahm Caffery das Foto und sagte: »Ihr Sohn, Mrs. Cook?«
    »Ja.«
    »Stimmt mit seinen Augen irgendwas nicht?«
    »O ja. Farbenasthenopie. Sie haben wahrscheinlich noch nie davon gehört, nicht wahr?« Sie glättete den schweren Rock über den Hüften, setzte sich aufs Sofa und goß Tee ein. »Einfach gesagt, er kann Sonnenlicht nicht ertragen. Man könnte meinen, Thailand wäre nicht der richtige Ort für ihn, nicht wahr? Aber so ist mein Thomas. Er hat einen sechsten Sinn für alles, was ihm nicht guttut.«
    »Farbenasth…?« Essex errötete reizend. »Ich hab’s nicht mit langen Wörtern.«
    »Farbenasthenopie.« Mrs. Cook lächelte geduldig. »Angeboren. Seine Augen haben keine Zäpfchen in der Netzhaut. Oder sind es Stäbchen? Ich kann es mir nie merken. Wie auch immer, er sieht die Welt schwarz und weiß, wie eine Katze. Es ist sehr ungerecht. Er gilt offiziell als behindert.«
    »Ist er teilweise sehbehindert?«
    »Es ist nicht so schlimm, außer daß er nicht Auto fahren kann und…« Sie lächelte entschuldigend. »Und daß ich ihn
mehr verwöhnt habe als die anderen beiden. Also…« Sie reichte Caffery eine Tasse Tee. »Sie wollten über die Leute oben reden? Sie sind an ihm

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