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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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geschoß. Sehen Sie.«
    Sie drehten sich um. In den Vorderfenstern des Erdgeschosses entdeckten sie kurz ein Paar große Hände, als ein Vorhang geöffnet wurde.
    »In Ordnung.« Caffery ging zum Haus zurück. »Vielleicht habe ich mich vertan.«
    »Jack.« Essex mußte sich beeilen, um Schritt zu halten. »Was haben Sie vor?«
    »Vielleicht war es mein Fehler, vielleicht ist 27a unten und 27b oben.« Er drückte auf die Klingel, und Essex neben ihm fröstelte.
    »Mir gefällt das nicht, Jack.«
    »Was reden Sie da? Es ist doch nur eine kleine alte Dame.«

    »Denken Sie an den Film Dressed to Kill «, zischte er. »Sie ist auf Mord aus, davon rede ich.«
    Schritte ertönten im Gang, schwere Schritte, und als Caffery seinen Ausweis aus der Tasche zog, trat Essex einen Schritt von der Tür zurück.
    »Ich meine es ernst, Jack. Es gefällt mir gar nicht.«
     
    Sein Gesicht in dem fleckigen Spiegel über dem Abwaschbecken, die schlechten Zähne und die glänzendrote Haut bestätigten erneut seine Überzeugung, daß er alles Recht hatte, zornig zu sein, daß er berechtigt war, Rache zu üben. Nie hatte es einen Tag, nie eine Stunde gegeben, in der er sich wegen seines Aussehens nicht geschämt hätte: Er neigte zu Fettleibigkeit und hatte eigentlich nie die weichen, weiblichen Hüften und die feisten Beine seiner frühen Kindheit verloren. Die Innenseiten seiner Schenkel rieben aneinander, wenn er ging, und jeden Abend reinigte er sich von den wächsernen weißen Ablagerungen in seinen Fleischfalten. Dabei besaß er die Gier eines Bullen. Er dachte nur an Sex, und dennoch war es keine Überraschung gewesen, daß er an seinem zwanzigsten Geburtstag noch Jungfrau war.
    Seine erste schäbige Eroberung fand in einer feuchten Gasse in Camden statt, im Austausch gegen eine halbe flasche Pink Lady, später gab es eine Prostituierte in Hackney für zehn Pfund, vier Pernods und schwarze Johannisbeeren. Mit zweiundzwanzig, während er sein Abitur in Biologie, Physik und Chemie wiederholte, bekam er eine Stelle als Wachmann an der UMDS, und sein Leben änderte sich.
    Seine Pflichten im Schatten der London Bridge Station ließen ihm Zeit zu lernen, ansonsten mußte er Ausweise kontrollieren, Besucher führen, in der Kabine vor dem pathologischen Institut frieren und alle zwei Wochen allein den nächtlichen Rundgang machen. Er führte durch glattpolierte Korridore, durch leere Kantinen, die nach Kartoffelbrei und saurer Milch rochen, durch die Vorlesungssäle, das Pathologielabor, das Anatomielabor.

    Das Anatomielabor war der Ort, wo sich eines Winters vor sechzehn Jahren sein Leben unauflöslich mit dem Hartevelds verbunden hatte.
    Es war eine seltsame Begegnung zweier abartiger Gemüter gewesen. Als sie sich über die grünverhüllten Gestalten und die stählernen Seziertische hinweg ansahen, wußten sie mit der Gewißheit von Liebenden, daß sich zwei verwandte Seelen getroffen hatten. Keiner brauchte dem anderen zu erklären, welche persönlichen Kämpfe er ausgestanden hatte. Der hochgewachsene, schlanke Aristokrat sah über alle Klassenschranken hinweg und wußte einfach, auf ganz poetische Weise, Bescheid .
    Er bestand sein Abitur nicht, und bald danach gab er seinen Traum, Arzt zu werden, auf und verließ die Sicherheitsfirma. Auch Harteveld verließ die Universität, aber die Verbindung zwischen dem Erben eines pharmazeutischen Vermögens und dem Exwachmann blieb über all die Jahre hinweg bestehen. Ihr besonderes, spezielles Interesse blieb das gleiche.
    Im Laufe der Jahre war es auf Parkplätzen und in Wäldern zu vier oder fünf Vergewaltigungen gekommen, aber die Mädchen waren zu betrunken gewesen, um sich an die Autonummer des kleinen Mannes zu erinnern, der angehalten und ihnen eine Mitfahrgelegenheit angeboten hatte. Auf diese Weise war er zum ersten Mal in die Gegend südlich des Flusses gelangt. Sie war eine Stripperin aus Greenwich. Es war zwei Uhr morgens an seinem Geburtstag, und er hatte sie auf den Straßen nördlich des Rotherhithe-Tunnels aufgegabelt, wo sie ein Auto anzuhalten versuchte. In ihrem ausgefransten Synthetikminirock, der Lederjacke und dem nordisch blonden Haar, das zu einem glatten Pagenkopf geschnitten war, erschien sie ihm als das hübscheste Ding, das er je gesehen hatte. Selbst jetzt, in seinem dumpfigen Badezimmer in Lewisham, stöhnte er unwillkürlich auf, als er an die überströmende Liebe dachte, die er für Joni empfunden hatte.
    Sie hatte schlaff auf dem Vordersitz seines Wagens

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