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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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haben letzte Woche mit Shellene Craw gearbeitet.«
    »Ja, hab’ ich.«
    »Versuchen Sie sich zu erinnern: Ist sie an diesem Tag mit jemandem weggegangen? Wurde sie abgeholt?«
    »Hm.« Joni strich mit der Zunge über die Lippen und starrte auf ihre mandarinfarbenen Fußnägel, die aus ihren Sandalen mit den Korkabsätzen herausspitzten.

    »Hallo?«
    »Ja, ich denke nach.« Sie sah auf. »Becky?«
    Rebecca zuckte die Achseln, aber Caffery war der gequälte Blick nicht entgangen, den Joni ihr zugeworfen hatte. Er war sofort wieder verschwunden, wie eine Seifenblase, die geplatzt war, und er fragte sich, ob er sich alles nur eingebildet hatte.
    »Nein«, sagte Rebecca. »Sie ist mit keinem weggegangen.«
    »Waren Sie dort?«
    »Ich habe gemalt.« Sie deutete auf die Skizzen auf den Zeichentischen.
    »Also gut, ich möchte …«
    Er war einen Moment abgelenkt und hielt inne, weil er die Gänsehaut bemerkt hatte, die sich über Rebeccas Beine ausbreitete. Diese plötzliche, winzige Reaktion ihrer Haut verwirrte ihn, und ihr war sein Stutzen nicht entgangen. Sie senkte ebenfalls den Blick, begriff und sah zu ihm auf.
    »Nun?« sagte sie langsam. »Was wollen Sie sonst noch von uns wissen? Was können wir sonst noch für Sie tun?«
    Caffery rückte seine Krawatte zurecht. Sie ist eine Zeugin, um Himmels willen!
    »Ich brauche jemanden, der Petra Spacek identifiziert.«
    »Ich kann das nicht«, sagte Joni unumwunden. »Ich müßte mich übergeben.«
    »Rebecca?« fragte er nachdrücklich. »Werden Sie es tun?«
    Nach einem Moment des Zögerns schloß sie den Mund und nickte schweigend.
    »Danke.« Er trank den Rest seines Biers aus. »Und Sie sind absolut sicher, daß Sie Shellene Craw das Pub nicht in Begleitung von jemandem haben verlassen sehen?«
    »Nein. Wir würden es Ihnen sagen, wenn es so gewesen wäre.«
     
    Sie gingen zum Wagen zurück. Essex sah erschöpft aus.
    »Alles okay?«
    »Ja«, sagte er krächzend, griff sich an die Brust und grinste.
»Ich komm’ drüber weg. Ich komm’ drüber weg. Glauben Sie, daß die beiden lesbisch sind?«
    »Das würde Ihnen gefallen, nicht wahr?«
    »Nein, im Ernst, glauben Sie das?«
    »Sie hatten getrennte Schlafzimmer.« Er sah Essex ins Gesicht und verkniff sich ein Lachen. »Sie waren nicht echt, wissen Sie.«
    Die Hand auf die Wagentür gelegt, blieb Essex stehen. »Was soll das heißen?«
    »Joni. Silikon. Sie waren nicht echt.«
    Essex stützte die Ellbogen aufs Wagendach und starrte ihn an. »Und weshalb sind Sie Experte auf diesem Gebiet?«
    Er lachte. »Erfahrung. Drei Jahrzehnte sich wandelnder Formen in Men’s Only . Ich sehe es einfach auf den ersten Blick. Sie nicht?«
    »Nein.« Essex blieb der Mund offenstehen. »Nein. Wenn Sie mich so fragen. Nein, ich würde es nicht erkennen.« Schnaufend stieg er ein und legte den Sicherheitsgurt an. Nachdem sie ein kurzes Stück gefahren waren, wandte er sich erneut an Caffery. »Sind Sie sicher?«
    »Klar bin ich mir sicher.«
    Essex seufzte ermattet und sah aus dem Fenster. »Wohin ist es nur mit der Welt gekommen?«
     
    Es war noch hell, als Caffery nach Hause kam. Veronica lag in einem Liegestuhl auf der Veranda und beobachtete mürrisch und still die länger werdenden Schatten im Garten. Sie hatte eine apricotfarbene Mohairjacke um die Schultern gelegt, und neben dem Liegestuhl stand eine halbleere Flasche Muscadet.
    »’n Abend«, sagte er leichthin. Eigentlich wollte er sie wieder fragen, was sie in seinem Haus mache, aber die starre Neigung ihres Kopfes ließ ihn vermuten, daß sie auf Streit aus war. Er ging an ihr vorbei bis zum Ende des Gartens, wo er, mit abgewandtem Gesicht, die Hände in den Drahtzaun legte.
    Auf der anderen Seite des Bahndamms stieg ein kleines
Rauchwölkchen in den rosafarbenen Himmel hinauf. Caffery preßte den Kopf gegen den Draht. Penderecki.
    Am Abend beobachtete er Penderecki zuweilen, der in seinem Garten umherging, rauchte und sich abwesend zwischen den Hinterbacken kratzte, wie ein alter Gorilla, der sich zum Schlafenlegen vorbereitete. Der Garten war nicht mehr als ein kleiner Streifen grauer Erde zwischen dem Haus und dem Bahndamm, in dem alte Motoren, ein Kühlschrank und die verrostete Achse eines Wohnwagens herumlagen. Das Gelände auf der anderen Seite des Damms war einst eine Ziegelei gewesen, und die Gärtner aus den Fünfzigerjahrehäusern holten mit ihren Hacken noch immer eine Menge Baumaterial aus dem Boden.
    Es war harter, schwer zu bearbeitender Boden. Caffery

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