Der Vogelmann
»Wie steht’s mit der DNA-Analyse?«
»Abgesehen von der Blutgruppe, fast wertlos, Sir. Die Verwesung ist zu stark fortgeschritten, um auch nur eine einzige Polymerasekette herzustellen.«
»Die Blutgruppe?«
»AB negativ. Nicht die von Harrison.«
»Irgendwas aus der Toxikologie?«
»Im Moment nicht.«
»Also wissen wir immer noch nicht, womit er sie sediert?«
»Keinerlei Vermutung bis jetzt.«
»Nun gut.« Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Er war müde. Letzte Nacht war Veronica mühelos neben ihm eingeschlafen, während er bis tief in die Nacht ruhelos auf ihren Rücken gestarrt hatte, als könnte er den Krebs erkennen, der durch die weichen Muskeln und Adern kroch. »In Ordnung, Logan, geben Sie uns Bescheid, wenn Sie etwas erfahren.« Er legte den Stift weg und nickte Maddox zu. »Ja. Das ist alles.«
»Gut.« Maddox beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn. »Also, ich weiß, daß es nicht viel nützen wird, aber ich möchte Sie in aller Form darum bitten sicherzustellen, daß keiner im Team den Fall mit einem Spitznamen belegt. Wir bezeichnen den Verdächtigen als ›Zielperson‹ oder schlicht als ›Täter‹. Schluß mit dem ›Vogelmann‹-Mist, der mir zu Ohren gekommen ist. Und ich möchte hier nie reinkommen und hochgezogene Jalousien vorfinden, ganz egal, wie heiß es werden sollte: Die Presse hält im Moment noch still, aber wie lange noch, kann sich jeder selbst ausrechnen. Also, nur zur Erinnerung, ich kann es nicht oft genug sagen: Seien Sie vorsichtig! «
Er sah mit seinen scharfen grauen Augen in die Runde und
versuchte, ein schwaches Glied auszumachen. Alle hielten seinem Blick stand. Er nickte zufrieden.
»Gut. Der Anschiß ist vorbei.« Er steckte seinen Füller in die Tasche. »Das ist alles im Moment, meine Herren. Sehen Sie zu, daß Sie die anstehenden Aufräge heute erledigen, rufen Sie alle zwei Stunden an, und seien Sie um sieben Uhr wieder hier. Und Vorsicht draußen.« Er hatte sich erhoben und sammelte seine Papiere ein, als jemand im hinteren Teil des Raums das Wort ergriff.
»Ja, tut mir leid, Sir, aber da wäre noch etwas.«
Alle drehten sich um. Detective Inspector Diamond, sauber rasiert und in einem dunkelgrünen Pierre-Cardin-Anzug, trommelte sich im Sitzen auf die Knie. Alle im Raum beugten sich ein wenig weiter nach vorn.
»Detective Diamond.« Maddox setzte sich wieder.
»Ein Ergebnis aus der Befragung der Nachbarschaft. Es ist jemand beobachtet worden.«
Im Raum wurde es mucksmäuschenstill. Caffery öffnete seine Akte und setzte seine Brille wieder auf. Das hätte bei Beginn der Besprechung vorgebracht werden sollen.
»Es wurde jemand beobachtet ?« Maddox runzelte die Stirn. »Warum haben Sie das nicht…?«
»Es handelt sich um eine heikle Sache, Sir.«
»Das heißt?«
»Es handelt sich um eine männliche Person schwarzer Hautfarbe, Sir. Sitzt in einem roten Wagen vor dem Betonwerk. Hält sich stundenlang dort auf, tut nichts, steht bloß mit Standlicht dort herum.«
»Also gut.« Maddox öffnete seine Akte und schraubte seinen Füller auf. »Irgendwelche Nachforschungen? Eine Autonummer?«
»Nein. Möglicherweise eine D-Nummer. Wissen Sie, ich dachte, da es sich um einen Schwarzen handelt, könnte es eine heikle Sache sein. Dann gibt es noch das hier –« Er beugte sich hinunter und zog eine Tüte unter seinem Stuhl hervor. Es war
eine Plastiktüte, die zur Aufbewahrung von Beweismitteln diente, mit Anhänger und doppeltem Aufkleber. Er hielt sie hoch; ein paar mit Erde überkrustete Flaschen klirrten aufeinander.
»Ich verstehe nicht«, sagte Maddox.
»Wray- und Nephew-Rum.« Diamonds Gesicht war blaß und beherrscht, als lauere ein höhnisches Lächeln in seinen Wangenmuskeln. »Sie wurden in einem Radius von eineinhalb Metern um die erste Leiche gefunden. In der Nähe der anderen fand man weitere.« Maddox sah ihn verständnislos an. »Wray und Nephew, Sir. Der stammt aus Jamaika, wie die Aufschrift besagt.«
Caffery und Kryotos tauschten Blicke aus. Maddox legte seinen Füller weg.
»Weder notwendig noch hilfreich, Mr. Diamond.« Maddox’ Gesicht war angespannt. »Außerdem brauchen Sie meine Erlaubnis, um etwas aus der Asservatenkammer zu entnehmen.«
»Es ist eine Spur.«
»Was denn für eine Spur, zum Teufel?« murmelte Caffery.
Diamond sah ihn eiskalt an. »Haben Sie etwa eine bessere Idee?«
»Mehrere.«
»Schon gut«, unterbrach Maddox und trommelte ungeduldig mit seinem Füller auf die Tischplatte. »Wir werden
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