Der Vogelmann
den Opfern waren zu klein, zu sauber, um von irgendeinem Gegenstand auf diesen Fotos verursacht worden zu sein. Wenn der Vogelmann den Opfern eine Maske mit Stacheln aufgesetzt hätte, wären die Haut zerfetzt und wundgescheuert und die Muster unregelmäßig gewesen. Tatsächlich aber waren die Wunden so präzise und genau wie die ausgestanzten Löcher an einem Puppenkopf.
Eine Puppe.
Er wickelte die Barbie-Puppe aus und hielt den Kopf zwischen seinem weißen und seinem schwarzen Daumen fest.
»Genau wie die Hunde beim Black-and-White-Whisky«, pflegte seine Mutter zu sagen.
Er dachte an Rebecca, wie sie gegen ihren Fahrradsattel gelehnt mit gebräunten Fingern an den Nähten der Leinwandriemen zupfte, wie in ihren hübschen dunklen Augen die Sonne aufblitzte, während sie ihm von Petra erzählte.
»Sie sah aus wie eine Puppe, mit all dem Make-up auf dem Gesicht.«
Genau! Seine Handflächen juckten. Das war die Verbindung. Make-up. Einstiche. Make-up. Stanzlöcher. Mach weiter. Komm schon, Jack, denk nach!
Warum hatte er es bei Kayleigh nicht getan? Warum war sie anders?
Sie war die einzige, die keine Male hatte. Irgend jemand hatte ihr kurz vor dem Tod das lange Haar auf Schulterlänge abgeschitten. Ihr Haar war blond, fast das gleiche Weißblond wie das Perückenhaar, das man gefunden hatte. Perücke. Make-up, Einstiche. Rebeccas gebräunte Finger. Weiße Nägel, die an den Nähten zupften. »Wie eine Puppe, mit all dem Make-up auf dem Gesicht.« Nach dem Abschneiden war Kayleighs Haar fast exakt genausolang wie das der Perücke.
Er drehte die Puppe herum, strich mit den Nägeln über die perforierten Linien am Kopf, wo aus jedem Loch ein Büschel Nylonhaar hervorsproß, und die Antwort dämmerte ihm, sprang ihm geradezu entgegen.
Nähen.
»Marilyn.« Er riß die Tür zum Einsatzbesprechungsraum auf. »Marilyn.«
Sie sah verblüfft auf. »Was ist los?«
»Wo ist Essex?«
»In der Asservatenkammer.«
»Gut.« Caffrey spürte, wie die Sehnen in seinen Händen zuckten. »Ich muß einen Blick auf die Obduktionsfotos werfen. Ich glaube, ich weiß, woher diese Male stammen.«
In der kleinen Asservatenkammer war nur auf der rechten Regalhälfte genügend Platz für die Beweisstücke des gegenwärtigen Falles. Die Beweisstücke aus allen vergangenen Fällen hatte zuviel Platz eingenommen und wurden nun in Schließfächern im Teeraum aufbewahrt.
»Essex. Ich brauche …« Er hielt inne. Er war mitten in eine Unterhaltung geplatzt. Essex saß an einem winzigen Tisch, sein Gesicht war müde und ausdruckslos. Hinter ihm lehnte Diamond
lässig an einem der Regale, seine Ärmel waren hochgekrempelt, und ein Anflug von Lächeln lag auf seinem Gesicht. Logan, der Leiter der Asservatenkammer, saß mit der gelben Sammelliste zu seinen Füßen da und hielt in der einen Hand einen Computerausdruck, in der anderen eine braune Akte. Als er Caffery sah, stand er so hastig auf, daß die Tüten mit den Beweismitteln von seinem Schoß auf den Boden glitten.
»Ah!« Umständlich griff er nach den Tüten. »Morgen, Detective Inspector.«
»Die Obduktionsfotos, Logan.«
»Natürlich, natürlich, kein Problem, Sir.« Ein wenig zu hastig stapelte er all die Tüten auf den Tisch und beschäftigte sich mit einer blauen Ablageschachtel in der Ecke. Essex fing Cafferys Blick auf und sah dann weg. Das genügte. Caffery schloß die Tür hinter sich und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen.
»Nun?« sagte er. »Was gibt’s?«
»Unsere Kollegin in Lambeth hat Geminis Wagen untersucht«, sagte Detective Diamond ruhig.
»Ich verstehe. Was hat sie für uns?«
»Vier Haare wurden gefunden.« Die Mitte seiner blaßblauen Augen war von einem harten Indigoblau. »Sie stimmten mit keinem der Opfer überein.«
»Ja?«
»Aber das spielt keine Rolle.« In der Ecke hustete Logan verlegen auf, und Essex starrte auf seine Hände. Diamond nutzte die Zeit, um sich über das mit Gel angeklatschte Haar zu streichen. Er zog die Luft ein, richtete sich auf und nahm mit gezierter Handbewegung den Bericht vom Schreibtisch. »Zahlreiche verwischte Fingerabdrücke, und jemand hat im Innenraum Kodian-C verteilt.«
»Eine industrielle Reinigungsflüssigkeit«, erklärte Logan.
»Was ich ziemlich verdächtig finde.« Langsam wie eine Eidechse blinzelte Diamond in die Sonne. »Außerdem haben die Jungs in Lambeth drei Fingerabdrücke gefunden, die aussagekräftig genug sind, um eine Übereinstimmung festzustellen.«
»Ich
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