Der Vogelmann
ein Fettkloß, und dicker Schweiß durchnäßte die Vorderseite seines Hemdes.
Die Ampel schaltete um, aber der Wagen vor ihm fuhr nicht an. Harteveld bemerkte das kaum. Seine schlanken Hände, die auf dem Lenkrad ruhten, schienen sich zu verkrampfen. Vielleicht, dachte er, hoffte er, würde sein Körper aufgeben.
Der übliche Strom von Leuten überquerte die Straße, dunkle Anzüge, Frauen mit hochhackigen Schuhen und fleischfarbenen Strumpfhosen, dazwischen das weiße Jackett eines Medizinalassistenten, der aus dem Guys eilte, um rechtzeitig vor der Leerung den Briefkasten zu erreichen. Der Turm des Guys-Krankenhauses zu Hartevelds Linken, der mit Satellitenschüsseln bestückt war, schien ihn zwischen den anderen Wagen herauszuspähen.
Er erschauerte. Er sollte irgendwo einen Parkplatz suchen, aber anzuhalten, auszusteigen und die paar Schritte zur York-Klinik zu gehen erschien ihm schwieriger, als die Erde auf den Schultern durch die Galaxie zu tragen.
Sein Plan war unbestimmt und verzweifelt. Nachdem er sich tagelang gewünscht hatte, sein Herz würde einfach stehenbleiben und ihm ersparen, eine Entscheidung zu treffen, wußte er jetzt, daß er sich in therapeutische Behandlung begeben mußte. Dies in der York-Klinik zu tun, auf dem Boden seiner Alma mater, wo der Keim gepflanzt worden war, schien ihm ebenso symbolträchtig wie richtig zu sein. Eine Art Katharsis, wenn es das für ihn überhaupt gab.
Aber als er sich dies vorstellte, als er sich vorstellte, die Last abzuwerfen und sie in einem diskret eingerichteten Raum einfach weiterzureichen, traten ihm Tränen in die Augen. Selbst ein Arzt konnte ihm nicht vergeben, was er getan hatte. Selbst ein Arzt schreckte vor dem Gestank des Unrats zurück. Er saß in der Falle. Er konnte sich nirgendwohin wenden.
Die Hände ums Steuerrad gekrampft, saß er da. Die Ampel schaltete um, einmal, zweimal. Der Verkehr bewegte sich nicht. Harteveld beugte sich ein wenig zur Seite, und das helle Aufblitzen einer Dienstmarke sagte ihm, daß er zwei Wagenlängen hinter einer Polizeiabsperrung stand.
Ganz leise, ganz verhalten begann er zu weinen.
Diamond holte North außerhalb des Gebäudes ein. »Was zum Teufel machst du hier eigentlich?«
North faltete die Hände über dem Bauch und ging weiter.
»Ich hab’ gefragt, was zum Teufel du hier machst.«
»Ich mußte die Wahrheit sagen.«
»Was hast du ihnen gesagt?«
»Daß ich nie jemand vor dem Werk gesehen hab’.«
»Mist.«
»Tut mir leid, Kumpel.«
»Mit leid tun ist es nicht getan, verdammt. Ich hab’ das geglaubt
und weitergegeben. Und meine Falltheorie auf deiner Aussage aufgebaut.«
North blieb stehen, die Sonne glitzerte auf dem Gold um seinen Hals, und er sah Diamond an. »Aber du hast doch gewußt, daß ich gelogen hab’.«
»Blödsinn.«
»Klar hast du’s gewußt. Du warst doch ganz begeistert, als ich gesagt hab’, ich hätt’ ’nen Schwarzen da rumhängen sehen.«
Diamond steckte die Hände in die Tasche und schüttelte den Kopf. »Das hab’ ich aber ganz anders in Erinnerung, mein Freund. Das hab’ ich ganz anders in Erinnerung.«
Constable Smallbright vom Vine-Street-Revier war bester Laune. Er sah gut aus und war verliebt. Es war ein schöner, strahlender Tag, und der Sergeant hatte ihnen erlaubt, unter den fluoreszierenden Polizeiwesten kurze Ärmel zu tragen. Sie standen zu zehnt an der Auffahrt zur London Bridge, und ihre weißen Hemden flatterten in der warmen Brise. Das Leben war doch einfach wunderbar, dachte er, als er sich hinunterbeugte und durch das Fahrerfenster des grünen Cobra sah.
»Morgen, Sir.« Der leichenhafte Ausdruck im Gesicht des Fahrers brachte Smallbrights Lächeln nicht zum Verschwinden. Er klopfte höflich an die Scheibe. »Könnten Sie…« Das Fenster wurde heruntergekurbelt, und der Schwall abgestandener kalter Luft und das fahle Gesicht des Fahrers ließen ihn innehalten. Er biß sich auf die Lippen. »Tut mir leid, Sie aufzuhalten, Sir, aber wir machen eine Fahrzeugkontrolle. Reine Routinesache, nur eine allgemeine Überprüfung der Wagen, alles klar?«
Das Schweigen als Einverständnis auffassend, ging er auf die Rückseite des Wagens, sah sich um und verspürte plötzlich ein Unbehagen. Der Fahrer sah seltsamerweise so aus, als würde er weinen.
Maddox lehnte die Stirn an die Fensterscheibe und seufzte.
»Ich frage mich, womit ich das verdient habe. Dafür werden sie mir die Eier abschneiden, nicht Diamond.«
»Glauben Sie, er hat
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