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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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nie wieder gesehen worden.«
    Und hier, im schwachen Licht der elektrischen Lampe, befreite sich Caffery von der Last der Geschichte und erzählte Essex
von dem Streit im Baumhaus, bei dem er sich den verfärbten Nagel zugezogen hatte, und davon, wie Ewan seinem Griff entglitten und auf die Böschung des Bahndamms gerutscht war. »Wir nannten ihn ›Todespfad‹. Welche Ironie.« Und wie seine Mutter geschluchzt und in den hinteren Garten gerufen, wie sie sich in die Arme gebissen hatte, als die Polizei Pendereckis Haus durchsuchte, um nach zehn Stunden ohne Ergebnis wiederzukommen, ohne den geringsten Beweis, daß Ewan dort je einen Fuß hineingesetzt hatte. Dann richtete sich der Verdacht auf seinen eigenen Vater, der abgeführt und zwei Tage eingesperrt wurde. »Mein Gott, es hat fast ihre Ehe ruiniert.«
    Der Glenmorangie in der Flasche ging zur Neige.
    »Schließlich gaben alle auf, ließen die Sache fallen, wahrscheinlich mußten sie das. Aber ich konnte es nicht. Verstehen Sie, ich wußte, daß er Ewans Leiche versteckte, aber nur während der Zeit, in der sein Haus durchsucht wurde. Vielleicht hat er sie aufs Land gebracht, es gibt da ein paar Sachen, Rechnungen, Briefe…« Er wies mit dem Kopf nach oben. »Anhaltspunkte, die ich im Lauf der Jahre gesammelt habe, die ich ordne und die vielleicht eine Spur ergeben. Aber von einem bin ich überzeugt…« Er schwenkte seinen Whisky und stürzte ihn hinunter. »Er klammert sich an ihn. Penderecki hat Ewan noch immer.«
    »Also warten Sie hier. Daß er Ihren Bruder zurückbringt?«
    Caffery starrte auf seinen Daumennagel und blinzelte gequält. »Ist es das, was er heute abend getan hat? Glauben Sie, daß Ewan dort drinnen liegt?«
    Essex stand langsam auf und zuckte zusammen, als das Blut wieder in seine Beine floß. »Ich weiß es nicht, Jack. Aber wir werden es herausfinden.«
     
    Das Sommergewitter zog nach Südwesten über Greenwich hinweg, und die silberne Antenne des Crystal Palace zitterte im Mondlicht. Selbst die Häuser, die den Rand von Blackheath säumten, schienen ein wenig näher zusammenzurücken, als
könnten sie damit verhindern, daß die alte Heide vom Wind fortgeblasen wurde.
    Harteveld saß schweigend am Mahagonitisch im Wohnzimmer, er hatte eine Ausgabe der Times vor sich ausgebreitet und eine Flasche Pastis neben sich. Die drückende Luft bereitete ihm Kopfschmerzen, ganz gleichgültig, wieviel Tabletten er schluckte und wieviel Koks er schnupfte, er wurde den Schmerz nicht los. Und seine Hände. Seine Hände waren kalt. Wie Eis. Er las den Artikel über die Leichen, die man beim Millennium Dome gefunden hatte. Kayleigh Hatch, Petra Spacek, Shellene Craw, Michelle Wilcox und ein Mädchen, das sie nicht identifizieren konnten, weil es so stark verwest war. Er wußte genau, wer es war: das Glasgower Straßenkind, dessen Tod er verschlafen hatte. Niemand hatte sie als vermißt gemeldet.
    Plötzlich wischte er die Zeitung vom Tisch und ließ den Kopf in die Hände sinken. Mehrere Sekunden saß er so da, wiegte sich von einer Seite zur anderen und krallte sich die Finger in den Kopf, als könnte er mit seinen Nägeln die Gedanken abschalten. Dann sprang er heftig zitternd auf. Er griff nach dem Pastis und taumelte in die Orangerie, wo er die Türen aufriß. Der Wind toste durch den Garten, blies ihm ins Gesicht und rüttelte an den Fensterscheiben.
    Toby Harteveld stand ganz still, er hielt sein Gesicht in den Sturm und lauschte den langen Gräsern, die sich bogen und wie Regen zischten. Das Gewitter nahte. Es raste aus dem Nachthimmel auf ihn zu, schneller als ein Komet, und sein Ziel war genau die Mitte seiner Brust.

33. KAPITEL
    A n der Stelle, wo sich Crooms Hill am alten Ursulinenkloster vorbei nach unten schlängelt, wurde der Wagen der städtischen Müllabfuhr von Greenwich mitten auf der Straße von einem unbeschrifteten weißen Lieferwagen angehalten. Minuten später setzte der Müllwagen seinen Weg den Hügel hinauf fort und hielt wie gewöhnlich vor dem Haus von Harteveld. Der Lieferwagen bog ab, fuhr eine große Schleife durch Blackheath und kam an der obersten Biegung von Crooms Hill wieder heraus, die vom Haus aus ebenfalls nicht zu sehen war, gerade rechtzeitig, um ein zweites Mal auf den Müllwagen zu treffen. Der Fahrer übernahm zwei volle Abfallsäcke von den Müllmännern, reichte sie vorsichtig einem Kollegen im hinteren Teil des Lieferwagens und warf die Türen zu. Als er wieder eingestiegen war, verstellte er den

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