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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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die Aussagen der Nachbarn erfunden?«
    »Was glauben Sie?«
    »Ich finde, wir sollten das überprüfen. Wenn Gemini aufgrund einer Falschaussage die ganze Zeit eingesessen hat …«
    »Sprechen Sie’s nicht aus, Jack. Sprechen Sie’s bloß nicht aus.«
     
    Reglos wie ein Fels saß Harteveld da, während der Constable die Rückseite des Cobra überprüfte und mit den Fingern über die Stoßstange und die Rücklichter strich. Er schwitzte nicht mehr so stark. Das grelle Glitzern des Sonnenlichts spiegelte sich in den Glasgebäuden. Nördlich des Flusses sah er ein winziges Wölkchen, das sich über der bläulichen Kuppel der St. Paul’s Cathedral in den Himmel erhob, wie ein Geist, der einen Körper verließ. Dampf, der sich in einer anderen Schicht der Atmosphäre wieder neu zusammensetzen, sich mit anderem Dampf verbinden, kristallisieren, verflüssigen und eines Tages wieder auf die Erde tropfen würde. Reiner. Diamantrein.
     
    »Wer ist 160?« rief Caffery über die Köpfe der Datenverarbeiter und Detectives hinweg, die im Raum herumschwirrten. Er war in Hemdsärmeln, hatte eine Hand auf den Schreibtisch gestützt und sah auf den Bildschirm einer Datenerfasserin. Ein zuckender Cursor am oberen Bildschirmrand deutete auf die Information:
    Akte bei Gerät 160 in Benutzung. Akte bei Gerät 160 in Benutzung.
    Ein anderer im Raum hatte die Datei mit den Aussagen der Nachbarn geöffnet und verweigerte ihm den Zugang.
    »Ich fragte: WER IST 160?«
    Über die Stapel der blauen Dienstformulare und die braunen Einsatzakten hinweg starrten ihn ein Dutzend Augenpaare verständnislos
an. In der Ecke, bei der Asservatenkammer, sah nur eine Person nicht auf. Diamonds gebeugter Kopf glänzte im grauen Licht des Bildschirms. Auf dem blauen Aufkleber, der am Monitor befestigt war, stand 160.
    Caffery und Maddox durchquerten den Raum.
    »Was zum Teufel machen Sie da?«
    Diamond sah mit sanften blauen Augen auf. »Ich trage nur ein paar Vorgänge ein.«
    »Das ist Marilyns Job.«
    »Huch«, sagte er einfach und schob die Tastatur zurück. »Tut mir leid, ich hoffe, ich habe nichts vermasselt.«
    »Mir ist eigentlich nicht danach, den Tag damit zu verbringen«, sagte Maddox, »Vorträge über Fälschung und Tatsachenverdrehung zu halten.«
    »Natürlich nicht, Sir.«
    Aber später, als Marilyn HOLMES überprüfte, stellte sie fest, daß bei den Nachbarschaftsbefragungen die Hausnummern entweder gelöscht oder nie eingetragen worden waren.
    »Detective Diamond?« Maddox fand ihn in der Asservatenkammer, wo er die Füße auf den Tisch gelegt hatte.
    »Sir?«
    »Auf ein Wort.«
    Caffery stand im Gang und beobachtete, wie Maddox die Tür zum F-Team öffnete, Diamond die Hand auf den Rücken legte, ihn vorsichtig hineinschob und mit sanftem Klicken die Tür hinter sich schloß.
     
    Als Constable Smallbright zurückkam, war er entsetzt über den veränderten Gesichtsausdruck des Fahrers. Es war, als hätte eine Hand alle Falten geglättet, als sähe er auf eine Sandfläche, in der alle Spuren glattgerecht worden waren. Er wirkte friedlich. Seine Augen waren auf einen Punkt auf der anderen Seite des Flusses gerichtet.
    »Wußten Sie, daß eines Ihrer Bremslichter eingeschlagen ist, Sir?«

    »Tatsächlich?« Harteveld öffnete die Wagentür, stieg aus und reckte seinen langen, kadaverhaften Körper in der Sonne. Er stand ganz still, die Augen geschlossen, das Gesicht zum Himmel gekehrt, als hätte er noch nie zuvor Sonne auf der Haut gespürt. Sein Anzug hing schlotternd an ihm, und die Hände baumelten aus den Ärmeln hervor wie die Klöppel alter Glocken.
    »Sir?«
    »Ja?«
    »Es ist nur ein zerbrochenes Bremslicht. Nichts Ernstes. Ihr Bremslicht ist zerbrochen.«
    »Natürlich. Und vergessen Sie in ihrem Bericht nicht die toten Mädchen.«
    »Sir?«
    »Sagen Sie ihnen, was ich getan habe, wenn Sie so freundlich wären.«
    Constable Smallbright sah nervös zu seinem Sergeant hinüber, der sich gerade zum Fahrerfenster eines Mazda hinunterbeugte. Er wandte sich wieder Harteveld zu. »Möchten Sie mir etwas erzählen, Sir?«
    »Nein, eigentlich nicht, ich glaube, ich mache mich wieder auf den Weg.«
    Noch nie hatte Constable Smallbright etwas wie das nun Folgende erlebt. »Der Fluß hat nie schöner ausgesehen, er war nie blauer und glänzender«, erzählte er später. »Aber der Typ sah aus wie ein Leichnam, wie etwas Totes, fahl gelb, wie schlecht gewordene Milch.«
    Und während Harteveld in diesem Kreis von Menschen den genauen Ort

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