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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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trugen Karottensticks durch die Gegend und ver-schwanden auf der Toilette, um sich aufzuhübschen. Manche brachten sogar andere Schuhe von zu Hause mit oder eine frische Bluse.
    Lars rief den neuen Azubi zu sich. Der Grünschnabel war zwar ein autistischer Nerd, kannte sich aber gut mit Musik aus. Lars hatte ihn ein paar Mal während seiner Streifzüge getroffen. Das Jüngelchen hatte beim ersten Mal etwas irritiert geguckt, fand die nächtlichen Begegnungen jetzt aber eher cool, hoffte Lars, zumindest tat er so.
    Vom Azubi ließ er sich ab und zu seinen iPod neu bespielen. Dieser ganze HipHop-Quatsch war nicht sein Ding. Ihm doch egal, was diese singenden Unterschichtler von sich gaben. Lars wollte die richtige Musik dabeihaben, wenn eine von den Frauen fragte, was er denn so hörte. Wer in Musikfragen nicht vorn war, verspielte jede Chance vom Start weg. Also machte ihm der Azubi alle zwei Wochen
ein kleines Update. Dafür durfte er ab und an etwas früher gehen. Lars rief den Nachtclubbesitzer an, der musste die Gästelisten sichern, unbedingt. Er fragte Katrin und Nina, ob die Dates für morgen und übermorgen klappten. Verdammt. Eigentlich war doch übermorgen Männerabend. Egal. Er schwindelte einfach von einem Geschäftstermin, ob man nicht erst um Mitternacht einen kleinen Drink …? Ja, Katrin war einverstanden. Nach drei oder vier Stunden hatte er eh die Lust an dem notgeilen Männergequatsche verloren. Lars studierte seinen Kalender, den privaten natürlich. Wenn jemand an der Scheibe klopfte, winkte er beschäftigt ab. Die sahen doch, dass er arbeitete. Weiße Flecken auf dem Kalender besagten: keine Verabredung. Jedes dieser leeren Felder war für Lars eine Bedrohung.

    Attila quetschte die Acrylfarben aus der Tube wie Teewurst aus dem Plastikdarm. Rot, viel Rot musste auf die Leinwand. Und gut verschmieren mit dem Gelb. Die Übergänge schufen die eigentliche Spannung in jedem Bild. Attila fühlte sich als Meister der Übergänge. Wenn er eines Tages endlich genug Bilder gemalt hätte, um eine Ausstellung in der Nationalgalerie zu füllen, würden die führenden Kritiker der Republik seitenweise von seinen Übergängen schwelgen.
    Eigentlich war ja der Samstag sein Maltag, immer von zwölf bis dreizehn Uhr, nach Frühstück und Zeitungslektüre. Er habe eine unheimlich kreative Ader, hatte sein Coach gesagt, den er sich bis zum vergangenen Jahr geleistet hatte. Weil er nie ein Instrument gelernt und zum Schreiben keine Geduld hatte, war Attila auf die Malerei gekommen - zur Perfektionierung seines Mythos’.

    Die großen wilden Bilder der Neuen Leipziger Schule hatten es ihm angetan. Die hatte er in einem Ausstellungsbericht entdeckt, weil er eines Morgens im Büro zufällig das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung gefunden hatte. Normalerweise las er nur den Wirtschaftsteil. Große Gesichter, starke Leiber, wüste Farben - was diese Schwuletten da auf die Leinwand droschen, das würde er auch noch hinbekommen. Nur empathisch musste es sein.
    Dummerweise sahen die Proportionen bei ihm etwas merkwürdig aus, weniger nach Kunst als vielmehr einfach nicht so gut. Also hatte sich Attila auf abstrakte Motive verlegt, vor allem auf Übergänge. Viel Farbe, mit Spachtel und breitem Pinsel aufgetragen, das war sein Ding, das ging auch zügig voran. Außerdem fanden es Besucher beeindruckend, wenn er ihnen einen Blick in sein Atelier gewährte, aus dem man über ganz Berlin blicken konnte. Niemand erwartete, dass ein harter Hund wie er auch ein Meister des Sensiblen war. »Hitler hat auch Postkarten gemalt«, dachte Attila dann immer für sich. Harhar.
    Heute gelangen ihm die Übergänge besonders gut. Er hatte einfach unglaublich viel Energie in sich, wenn auch nicht gerade positive. Camille hatte noch mal angerufen und ihm eine weitere Information zukommen lassen, die sie im halböffentlichen Raum des Klinikfoyers nicht anzusprechen gewagt hatte. Die Quacksalber im Fruchtbarkeitstempel hatten offenbar ermittelt, dass heute Nacht die Nacht der Nächte war. So empfängnisbereit wie zwischen zwei und vier Uhr morgens würde Camille die nächsten Jahre kaum jemals wieder sein.
    Er musste praktisch nur seine Unterhose ausschütteln, und seine Frau würde endlich schwanger sein. Das war seine Chance: Wenn er beweisen wollte, was in ihm steckte, dann heute Nacht. Von wegen Impotenz oder Zeugungsprobleme
oder der ganze Mist. Noch zehn Stunden, dann war es so weit, dann begann die Nacht, um Halbgötter, ach was, um

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