Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
Vom Netzwerk:
Autorität nicht nur bei Wesley , sondern in der ganzen Branche untergraben. »Der Chef kann nicht«, würde über alle Flure der Republik gewispert, womöglich sogar getwittert - wie grausam. Ein Kind musste her, aber zackig.

    Die Tür öffnete sich, und die stattliche Statur von Professor Schneider verdunkelte die Sonne. »Freut mich außerordentlich, dass wir uns endlich mal wiedersehen«, log er zur Begrüßung. Attila betrat das Büro. Der Professor erläuterte das Programm: Leistungsdiagnostik, Sonographie aller wichtigen Organe, großes Blutbild und schließlich die Magen- und Darmspiegelung. »Einmal oben, einmal unten«, sagte der Professor lachend, »aber nicht mit dem gleichen Schlauch.« Haha, sehr witzig, fand Attila. Wie oft der Medicus diesen mittelguten Scherz wohl schon gemacht hatte? »Dann wollen wir mal«, sagte Schneider.
    Aber Attila hob die Hand: »Einen Moment noch, Herr Professor. Ein guter Freund von mir hat mich gebeten, Sie zu einem etwas heiklen Thema zu befragen, das ihm ziemlich unangenehm ist.«
    Schneider horchte auf. Hatte er gemerkt, dass Attila die Projektionsstrategie anwendete und in Wirklichkeit von sich selbst sprach? Egal. So war ihm jedenfalls nichts nachzuweisen.
    Attila schilderte das Empfängnisdrama und schloss die Frage an, ob es auch Ursachen gebe, die sich schnell und problemlos abstellen ließen. Er dachte an seine Jeans, die obenrum etwas eng saßen. Seine Mutter hatte früher immer gesagt, dass stramme Beinkleider negativ auf die Potenz wirken könnten.
    Der Professor machte eine dieser professoralen Kunstpausen. Dann hob er an zu einem kleinen kulturgeschichtlichen und medizinwissenschaftlichen Streifzug durch die Zeugungsgeschichte des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Fazit: Ursachen konnte es viele geben. Für einen solchen ebenso zeitraubenden wie ergebnislosen Exkurs hätte Attila einen Mitarbeiter schon gefeuert.
    Immerhin kam der Professor ganz am Ende doch noch zum
nützlichen Teil. Er zitierte eine brandneue australische Studie, derzufolge die Samenqualität beim modernen Mann stark abgenommen habe. Die Ursache war ganz einfach: zu wenig Umsatz. Im Beutel eines sexuell mäßig aktiven Zeitgenossen schwappte demnach nicht das Gen-Material für Helden, sondern eher Spermienmüll. Nur hohe sexuelle Aktivität gewährleistete auch viele gute Samen. »Richten Sie Ihrem Freund einfach aus: Mit ein paar Mal onanieren lässt sich schon viel bewegen«, meinte der Professor, »das ist zwar nicht hochwissenschaftlich, aber durchaus plausibel.« Attila schöpfte Hoffnung.

    In der Agentur war alles wie immer. Dennoch hatte Martin das Gefühl, dass er störte. Seine Kollegen behandelten ihn so leise und vorsichtig wie einen Kranken, der noch in der Reha weilt. Manche nickten ihm zu, grinsten oder hoben den Daumen, als er ins Konferenzzimmer trat.
    Vielleicht hätte er auch einige Minuten vor sechs kommen sollen. Aber er hatte Dorothea noch umständlich auf die Mailbox gesprochen, dass die Agentur darauf bestanden hätte, dass er am Brainstorming teilnähme. Das stimmte zwar nicht, war aber die einzige Chance zu erklären, warum er nicht zu Hause war und Frederic half, das perfekte Chef-Dinner vorzubereiten. Er wusste, dass sie toben würde. Die vierzehn besten Leute der Agentur waren zum Brainstorming eingeladen worden. Martin hatte sich selbst eingeladen. Das war unüblich, aber unumgänglich. Hier wurde die Weltbestenliste erstellt, einmal im Quartal. Wer nicht dabei war, fiel im Ranking. Und Martin hatte keine Lust, bei seiner Rückkehr vom Praktikanten-Level zu starten. Sein Chef begrüßte ihn ausdrücklich und, wie Martin fand,
durchaus herzlich, aber nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es »unüblich« sei, die Elternzeit zu unterbrechen. Hörte Martin Kritik heraus?
    Er nestelte geschäftig an seinem Vorwort herum, das er ausgedruckt und auf seinem Klemmbrett gut sichtbar fixiert hatte. Am Ende dieser Veranstaltung würde sein Chef sagen: »Gut, dass Sie da waren, Martin. Dieser Witz, diese Tiefe, das brauchen wir so dringend. Wir kommen einfach nicht ohne Sie aus.« Oder so ähnlich.
    Das Brainstorming verlief immer nach dem gleichen Ritual. Es gab einen Talking Stick, einen halben Meter Besenstiel, der mit Bändern und Schellen verziert war. Wer den Stock hielt, hatte das Rederecht, alle anderen mussten zuhören. Es war Pflicht für jeden, einen etwa fünfminütigen Monolog zu halten über eine Beobachtung, ein Phänomen, vielleicht eine Belanglosigkeit, aber

Weitere Kostenlose Bücher