Der Vollzeitmann
Senders gelesen hätte, fragte Frau Kackdie-Wandan mit der tückischen Liebenswürdigkeit einer Sonderschulpädagogin. Jochen bejahte in der Hoffnung, nicht abgefragt zu werden, und versuchte einen Gegenangriff. Wenn in der wöchentlichen Lesben-Sendung eine weibliche Komödiantin in einem ähnlichen Ton über Männer gelästert hätte, dann wären alle begeistert gewesen über so viel emanzipatorisches Selbstbewusstsein, behauptete er. Frau Kackdie-Wandan schüttelte den Kopf. Nein, man toleriere keine Form von Diskriminierung. Der Rest des Tribunals nickte ernst.
Genau in diesem Moment meldete sich das Handy von Frau Kackdie-Wandan. Die Marseillaise erklang, obwohl nur eine SMS eingegangen war. Das Gebimmel war ihr peinlich. Immerhin. Jochen stellte sich vor, dass die SMS von Kackdie-Wandans Lebensgefährtin gekommen war, Text: »Du Drecksluder, wenn du nach Hause kommst, werde ich’s dir richtig schmutzig besorgen.« Jochen grinste. Wenn Männer es Frauen schon nicht richtig schmutzig besorgen konnten, dann konnten es Frauen bei Frauen erst recht nicht. Immerhin Gerechtigkeit im Elend.
Die SMS war genau im richtigen Moment gekommen; sie hatte das Tribunal praktisch beendet. Der Programmchef fasste zusammen: Jochen sei neu, etwas über das Ziel hinausgeschossen,
seine Sendung liefere gleichwohl eine interessante Farbe, die dem Gesamtprogramm guttue. Insofern wolle man es in diesem Fall bei einer Ermahnung belassen, verbunden mit dem Appell, künftig etwas rücksichtsvoller mit den Gefühlen der Hörer und vor allem Hörerinnen umzugehen.
Frau Kackdie-Wandan nickte. Jochen nickte auch. Dann war das Tribunal beendet. Hatte Jochen nun gewonnen oder verloren? Helden werden im Kopf gemacht, dachte Jochen und versuchte, sich wie ein Sieger zu fühlen.
Laufen hatte für Maik eine magische Bedeutung. Er war nie ein großer Sportler gewesen. Aber inzwischen genoss er es, seinen Körper zu spüren, die Luft, die Ruhe, den Zwang, sich mit sich selbst zu befassen ohne jede Ablenkung. Vor allem aber war das Laufen untrennbar mit Fee verbunden, vielleicht der Frau seines Lebens. Sie war Reporterin fürs Lokalradio und hatte ihn einst über die Gartentrends des Frühjahrs befragt. Sie hatten danach ein paar SMS ausgetauscht, sehr distanziert und dennoch voller Sehnsucht.
Maik spürte, dass er für Fee mehr empfand als für alle anderen Frauen zusammen. Er wusste aber auch, dass keine Chance bestand für sie. Fee hatte Mann und Kind, und Ulrike stand damals kurz vor der Entbindung von Anna. Sie trafen sich im Wald, zu langen Spaziergängen, die immer vertrauter wurden. Eines Tages zog sie ihn am Ufer des Sees in eine Kuhle. Sie liebten sich still, schnell und seither immer öfter. Wie nur wenige Frauen hatte sich Fee die wundervolle Eigenschaft des Errötens erhalten.
Um kein Aufsehen zu erregen, begannen sie gleichzeitig
das Laufen. So konnten sie sich zwei, drei Mal die Woche unauffällig sehen. Auf so ziemlich jedem Quadratzentimeter Grunewald hatten sie sich seither geliebt, immer schnell, immer still, immer voller Hitze. Das Verbotene behielt auch mit den Jahren seinen immensen Reiz.
Doch die Leichtigkeit ließ sich nicht festhalten. Immer öfter sprach Fee davon, dass sie ihre Partner verlassen und gemeinsam etwas ganz Neues beginnen sollten. Maik dachte an den Hauskredit, die Kinder und Ulrike. Er hatte Angst vor zu vielen Baustellen. Er zweifelte, ob die neue Liebe, die ja auch schon älter war, all dem Druck standhalten würde, der da aus zwei zertrümmerten Familien entstehen würde. Er hatte Angst davor, sein Leben radikal zu ändern, jedenfalls jetzt. Es sollte alles so bleiben wie es war. Aber Fee wollte mehr. Sie setzte ihm zu mit ihrer bedingungslosen Liebe. Never touch a running system, dachte Maik. Fee dachte anders.
Vor drei Monaten hatte er ihr beim Laufen ebenso knapp wie kalt erklärt, dass er nicht mehr weiterwisse, nicht mehr könne, nicht mehr wolle. »Das war’s dann wohl«, hatte sie gesagt. Er nickte und hoffte, dass sie ein Gespräch beginnen würde, über das Warum. Aber sie bog bei der nächstbesten Gelegenheit ab.
Sein Lauf allein durch den Wald gehörte zu den tragischsten Momenten seines Lebens. Er weinte, wie er noch nie geweint hatte. Er wusste, dass er womöglich den größten Fehler seines Lebens gemacht hatte. Er hatte Sicherheit gewählt, obwohl er Glück gewollt hatte. Ausgerechnet er, Häuptling Cooler Panther, war feige gewesen.
Maik überlegte, ob er umdrehen und ihr
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