Der Vollzeitmann
mit dem Potenzial, ein Trend zu werden. Der neue Praktikant musste anfangen. Für Praktikanten war das Brainstorming der Höhepunkt in ihrem bisher eher nutzlosen Leben. Viele schwitzten, manche stammelten, neulich hatte ein Mädchen sogar vor Aufregung geheult.
Gerade referierte der neue Praktikant etwas uninspiriert über seine Beobachtung, dass in Cafés immer mehr Raucher dazu übergingen, ihre Zigaretten wieder selbst zu drehen. Hatten wir es hier nur mit einem ökonomischen Phänomen zu tun? Oder zeichnete sich da ein Trend ab? Demi Moore sollte irgendwo im Interview bekannt haben, dass sie so unheimlich gern strickte. »Wir erleben den Beginn einer neuen Selfmade- und Heimwerker-Ära«, fasste der Praktikant eine Spur zu selbstgewiss zusammen. Der Chef nickte anerkennend.
Martin überlegte. Sollte er sich den Talking Stick schnappen und fünf brillante Minuten zu seiner NIWRAD-Theorie
hinlegen? Oder sollte er sich in seiner Gastrolle einrichten, zurückhaltend, weltmännisch und nachdenklich und nur reden, wenn ihn der Chef um seine Meinung fragen würde? Martin wollte nicht auffallen, aber auch nicht untergehen.
Wieso schickte Eva, die Nervensäge, ihm schon wieder eine SMS? »Danke für deine kryptische Nachricht! Warte auf dich … Kuss! E.« Hä? Kryptische Nachricht? An Eva? Um Gottes willen! Check SMS-Ausgang. Verdammt, die Hollywood-Nachricht, er hatte sie aus Versehen an Eva geschickt. Sehen wir es mal positiv, dachte Lars. Ich verhalte mich einfach ruhig, und sie wird nach ihrem heutigen Abend in vergeblicher Warteposition so sauer sein, dass ich endlich Ruhe vor ihr habe.
»In Wirklichkeit waren sie alle Gefängnisinsassen, die einen in ihrer Pseudo-Familienidylle, die anderen in ihrer vermeintlichen Single-Freiheit.«
Die Stimmung in der Küche war sehr ausgelassen, es wurde geraucht und getrunken, der Lärmpegel war unglaublich. Jasmin leckte sich gerade über die Lippen. Er hatte den Eindruck, sie guckte zu ihm herüber. Ob er sie vielleicht doch mal, also sofort, ansprechen sollte? Sie spielte mit ihm, das war offensichtlich. Diese Büro-Party-Ausgelassenheit, das war alles nur Tarnung; in Wirklichkeit waren sie alle Gefängnisinsassen, die einen in ihrer Pseudo-Familienidylle, die anderen in ihrer vermeintlichen Single-Freiheit.
Vor drei Monaten war er auf Angelikas Hochzeit gewesen, das war ähnlich bescheuert. Ach was, das war tausendmal härter, erinnerte er sich jetzt. Er hatte das Glück seiner einstigen Gefährtin kaum ertragen können. Er hatte sie lachen sehen, so befreit, so sicher, er hatte seine verpasste Chance gesehen und es kaum ausgehalten. Man entscheidet sich auch, wenn man sich nicht entscheidet, war eines der geflügelten Worte seines alten Herrn.
Von Angelikas Hochzeit aus war er zum ersten Mal in seinem Leben direkt in ein Bordell gefahren. Die Leuchtreklame war von der Autobahn gut zu sehen. Mit zwei Mädchen aufs Zimmer. Er war an dem Tag auch richtig gut gewesen, die mochten ihn wirklich, die waren echt abgegangen, das hatte er gleich gemerkt. Danach war es ihm gleich besser gegangen, so für einen Tag.
Jasmin stand jetzt neben ihm. »Na, haben wir wieder unsere kleine Zukunftsdepression?« Sie redet nicht mit mir, wie eine Assistentin mit mir reden sollte, dachte Lars, und starrte auf ihre wohlgeformten Brüste. »Du willst mir doch gar nicht helfen. Sonst würdest du dich auch nach Feierabend mal um deinen bedürftigen Chef kümmern.« Lars starrte Jasmin an. Wie kann ich nur so einen Blödsinn erzählen, ich fasse es nicht, dachte er. Aber Jasmin grinste. »Du hast mich ja noch nie richtig gefragt.« Er lächelte. Läuft doch, dachte Lars, läuft doch immer besser.
Als Jochen das Sendergebäude verließ, war ihm immer noch schwindelig. Was war da gerade passiert? Er wusste es nicht. Er war kaum zehn Minuten zu spät gekommen, weil die Gangschaltung an seinem Rad nicht ganz rund lief. Sechs Personen warteten auf ihn, vier Frauen und zwei Männer, und alle sahen
aus wie die Besucher eines Straßenfestes von Amnesty International . Das Tribunal. Frau Kackdie-Wandan guckte besonders grimmig. Der Programmchef begann das Verhör, und Jochen hatte nicht den Eindruck, dass da ein Freund sprach. Der Programmchef verlas mehrere Ausschnitte aus Beyond Cool , völlig harmlose, heitere Sätze wie: »Die Frau ist der beste Freund des Menschen« und andere ziemlich lustige Einwürfe, mit denen Jochen seine Moderationen gewürzt hatte.
Ob er denn die Richtlinien des
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