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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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halbverwesten Leiche inspizierte, Norbert schrie so erbärmlich, als werde er mit linksdrehenden Pastinaken beworfen, und Frederic, dieser Möchtegern-Chopin, hatte den Tisch natürlich noch nicht gedeckt. Dafür marodierten die Gartenarchitekten im einsetzenden Nieselregen auf der Terrasse herum, die aussah wie Berlin im Mai 1945.
    »Von ihrer ins Zickige spielenden Psyche her waren Schwänze fast wie Frauen.«
    Martin hatte verzweifelt gegrübelt, wie er sich am elegantesten aus dem Brainstorming zurückziehen könnte. Ihm war nichts eingefallen, außer der alten Zeitgewinn-Technik.
Mitten im Vortrag eines ziemlich beschränkten Junior-Beraters war er plötzlich aufgesprungen, hatte seinem Chef ein Zeichen gegeben, das alles hätte bedeuten können von »Ich muss mal« bis »Ich sterbe jetzt« und hatte den Sitzungsraum verlassen. Vorteil: Er hatte Zeit gewonnen, um sich eine überzeugende Ausrede einfallen zu lassen. Martin versuchte, die Blicke nicht wahrzunehmen, die ihm folgten; es war sicher alles dabei, von belustigt über verachtend bis tückisches Mitleid. Egal. Nur raus hier. Dorotheas Zorn war noch fürchterlicher als das Getratsche in der Agentur.
    Im Auto nahm er einen kräftigen Schluck Rotwein aus einer der offenen Flaschen. Das Zeug schmeckte gruselig. Erst vor seiner Haustür stellte er fest, dass die halbe Flasche unter dem Beifahrersitz ausgelaufen war. Hundert Euro im langen Flor unter der Fußmatte. Martin grinste: Hundert Euro im langen Flor unter der Fußmatte - das war der ultimative Bandname, dachte er im ersten Rotwein-Schwung. Im Chaos der Wohnung ernüchterte Martin schlagartig. Jetzt war Führung gefragt. Aber wie ging das? Na klar: First things first. Zuerst mussten die Kinder weg. Mings Job. Dann musste die Tafel eingedeckt werden. Frederic. Und die Garten-Gabis mussten verschwinden, aber hurtig. Und in zwanzig Minuten begann Dorotheas Sendung, die durfte er auf keinen Fall verpassen.
    Otto brüllte gegen Norbert an, die Gärtner kratzten maulig Gartendreck und Erdhaufen zusammen, Ming heulte, wahrscheinlich aus nackter Angst, und Frederic wollte schon seine Schürze an den Haken hängen, weil Martin ihn wegen des ungedeckten Tischs angeraunzt hatte. Aber eine halbe Stunde später war tatsächlich so etwas wie Ordnung zu erkennen. Martin hatte durch das Wohnzimmer gesaugt, mit einer Gießkanne die letzten Gärtnerspuren beseitigt,
Ming einen Putzlappen in die Hand gedrückt und die Scheinwerfer auf der Terrasse dramatisch justiert. Im Halbdunkel des Abends würde es kaum auffallen, dass es sich hier um eine Baustelle handelte. Sie mussten nur verhindern, dass Holtkötter auf die Terrasse ging. Zum Glück war es noch zu kühl, um draußen zu essen.
    Martin nahm einen weiteren Schluck Rotwein. So langsam konnte man sich das Zeug schöntrinken. Er genoss das Gefühl von Macht. Er hatte den Laden hier im Griff. Aber irgendwas fehlte noch. Nur was? Martin durchzuckte es: Er hatte vergessen, den Rotwein zu googlen. Und Dorotheas Sendung hatte er auch verpasst. Er holte den Laptop: Vielleicht hatte irgendein bekloppter Fan die Sendung bei Youtube eingestellt. Und Rotwein-Weisheit brauchte er auch, irgendwas mit Terroir.

    Im Auto vor der Wohnung checkte Lars noch einmal alle Termine. Drei Anrufe in Abwesenheit von Eva, egal. SMS von Katharina, wo er bleiben würde. Das Treffen hatte er völlig vergessen. Absage wegen Überstunden und Personalgespräch. »Meld’ mich.« Das klang immer gut. Er war der Entscheider, der das Sagen hatte.
    Der Nachtclubbesitzer hatte ihm eine Bestätigungsmail geschickt, die Gästelisten gingen klar, sogar mit Vip-Bändchen inklusive Begleitung. Morgen Katrin, übermorgen Männerabend plus Nina oder als Ersatz möglicherweise Tina, heute Abend Sandy und, falls das nichts werden würde, Doro und Nicky. Ein heißes Doppeldate, obwohl er Nicky noch nicht kannte. Aber da vertraute er Doros Frauengeschmack.
    Im Sinn hatte er noch Jasmin, das musste er weiterverfolgen,
sowie, ganz neu, natürlich diese Cindy aus dem Gym. Letztens trug sie eine unverschämt enge Gymnastikhose, die ihr viel zu tief auf den Hüften saß. Er konnte das Schwanzende eines tätowierten Skorpions erkennen, der irgendwo sehr viel weiter unten enden musste. Das hat ihn doch ein bisschen erregt, auch wenn er normalerweise diese Verzierungen ziemlich grenzwertig fand. Wie sie klang, steckte sie in einer stinklangweiligen Beziehung mit so einem muskelbeladenen Vollhonk, der jeden Samstag Sportschau
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