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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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guckte oder ins Stadion ging und sie alleine ließ.
    Frauen in solchen Verhältnissen waren ihm am liebsten. Die machten keinen Druck, waren ausgehungert, hatten seine Sprüche noch nicht gehört und waren mit den einfachsten Komplimenten in die Horizontale zu bewegen. Sie fanden es sogar wild und exotisch, wenn er ihnen in einer Bar unauffällig auf die Toilette folgte, plötzlich an ihrer Kabine klopfte und sie dort oral befriedigte oder ihnen wortlos seine Erektion in die Hand drückte. Die meisten waren so verblüfft, dass sie sich automatisch an die Arbeit machten. Na ja, kein Wunder bei seiner Mannespracht, er konnte sich da durchaus sehen lassen.
    Eine schnelle Nummer auf dem Klo fanden fast alle toll, sie glaubten an große Leidenschaft. Lars machte solche Kunststücke aber immer nur bei den ersten Dates, ihm taten danach die Knie weh oder er hatte Muskelkater in den Oberschenkeln von den unbequemen Stellungen auf engstem Raum. Mit nach Hause nahm er nur Frauen aus festen Beziehungen. Die gingen meistens noch in der Nacht, damit ihr Freund oder Mann nichts mitbekam.
    Lars wollte nicht neben Frauen aufwachen, womöglich verkatert, mit einer riesigen Depression oder Schuldgefühlen. Frauen, an deren Namen er sich nicht erinnern konnte,
Frauen, die komisch aus dem Mund rochen und - ohne den Zauber der Nacht und den gütigen Schleier des Alkohols - doch ein bisschen verfallen und verquollen aussahen. Einige wollten morgens auch noch kuscheln. Lars machte dann ganz schnell Kaffee und war froh, dass nichts im Kühlschrank stand. So viel Ungastlichkeit hielt keine lange aus.

    Jochen wusste nicht, ob er sich auf den Abend mit Bretti freuen sollte. Es war ein Abschied, keine Frage. Sein Geld hatte gerade noch für zwei Sixpacks gereicht. Das war nicht viel für einen Abend mit Bretti. Aber er ging davon aus, dass der alte Kumpel nicht mit leeren Händen kommen würde.
    Jochen saß am Küchentisch, vor sich das zweite Bier. Seine zwei besten Freunde saßen mit am Tisch, Nostalgie und Zweifel. Die beiden waren seine ständigen Begleiter. Jochen war ein begeisterter Nostalgiker: Die Kreidler Flori , der legendäre Rockpalast mit The Undertones und Black Uhuru , das schlammige Open Air in Schüttorf, als er in ein wildfremdes Zelt krabbelte, stoned wie er war.
    Stets mischte sich allerdings Freund Zweifel ein, wenn die Nostalgie schwelgte, und selten war die Stimmung hinterher besser. Da war zum Beispiel dieser Donnerstagabend damals im Odeon . Alles, was Nostalgie so schätzte, zerstörte der blöde Zweifel mit einer einzigen Erinnerung. Die Tanzfläche war menschenleer, und plötzlich lief: »I am what I am« von Gloria Gaynor . Als habe sein Gehirn einen Totalausfall, stürzte Jochen auf die Tanzfläche und begann einen ziemlich spastischen Ausdruckstanz.
    Er wusste, dass die Frau seines Herzens diese Hymne der Verklemmten liebte. Und er liebte diese Frau. Wenn er dazu tanzte, ganz allein vor tausend Augen, dann würde
sie dieses Zeichen verstehen und zu ihm auf die Tanzfläche kommen.
    Aber Jochen blieb allein. Nach dreißig Sekunden wurde ihm sein Auftritt peinlich. Nach einer Minute wollte er sterben. Und nach neunzig Sekunden war er so aus der Puste, dass ihm schwindelig wurde. Doch der DJ hatte kein Erbarmen, er spielte das Stück bis zum allerletzten Takt. Ungefähr zehntausend Leute standen um die Tanzfläche und guckten wortlos. So unauffällig wie möglich hatte Jochen den Laden danach verlassen und war nie wiedergekommen. Die Frau hatte er nie wiedergesehen.
    Bis heute fragte er sich, wie weit er gehen würde, um die Sympathie einer Frau zu erreichen: Er würde die Porno-Werbung im TV wegzappen, klar; er würde sogar mit ihr auf peinliche Städtetrips gehen, nach Vilnius, weil Easyjet für neunundzwanzig Euro dorthin flog. Womöglich würde er sogar Wellness-Urlaub mit ihr durchstehen, obgleich ihm nichts unangenehmer war, als nackt neben wildfremden Leuten auf Liegen zu liegen, auf denen vor ihm vielleicht ein Schuppenflechte-Patient breitbeinig und ohne Handtuch gelümmelt hatte, und so zu tun, als sei er ganz fürchterlich entspannt.
    Der Wohlfühlterror hielt dieses Land fest im Griff. Jochen kriegte Ausschlag, wenn er irgendwo Ginseng roch - Blödel-Buddhismus für Reklame-Praktikanten. Höchste Zeit für Badness. Zehn Pullen Bier in die Birne drücken und hinterher im Schlamm suhlen, das war entspannend. Mit den Bademantel-Gespenstern aus den Wellness-Bunkern hätte es Woodstock nie gegeben. Bei
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