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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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gar nicht immer an konkreten Sex, sondern oft an Sexoptionen. Letztlich stellte er sich, sobald er eine Frau sah, umgehend die Frage, ob mit ihr wohl was ginge. Dabei gab es vier große Gruppen:
    Gruppe eins waren die Undenkbaren, also Rentnerinnen oder Minderjährige.
    Zur Gruppe zwei gehörten die Möglichen, aber Uninteressanten. Die dicke Kuh mit dem schlechten Tattoo im Strand-bad, die drei missratene Gören hinter sich herzog, war sicher mit zwei Schirmchen-Getränken zu überzeugen. Leider löste sie umgehend Erektionsprobleme bei Jochen aus.

    Gruppe drei, das waren die wünschenswerten, aber unrealistischen Damen. Cameron Diaz zum Beispiel. Jedweder Anmachversuch barg maximales Peinlichkeitspotenzial. In Gruppe vier wiederum versammelten sich die wirklich interessanten Kandidatinnen, die weder unmöglich noch uninteressant erschienen, die neue Nachbarin zum Beispiel. Bianca war auch eine Vier gewesen, Bianca, die einzige Frau, mit der Jochen wiederholt richtigen Sex gehabt hatte. Leider war Bianca zum Studieren nach Australien gegangen und seither nicht zurückgekehrt. Die Vorstellung, dass sie eines Tages vor seiner Tür stehen und ihm um den Hals fallen würde, hatte Jochen nur sehr langsam und unter größten Schmerzen begraben.
    Weil Frauen der Kategorie vier ziemlich rar waren, war in der letzten Zeit noch eine weitere Gruppe hinzugekommen, ein Ableger von Nummer zwei. Frauen, bei denen es möglich wäre, die eigentlich uninteressant waren, zur Not aber denkbar. Es gab viele Damen über fünfzig, die noch sehr gepflegt waren und ausgesprochen hungrig, aber nicht so anspruchsvoll.
    Jochen hatte neulich erst im Fernsehen eine Reportage über einen professionellen Gigolo auf einem Kreuzfahrtschiff gesehen. Der Schlawiner war schon fast siebzig, beherrschte alle Gesellschaftstänze, verfügte über einen Smoking in Crème und geschliffene Manieren.
    So ein Leben als Edelnutte könnte sich Jochen durchaus vorstellen auf seine alte Tage. Nur Tanzen musste er noch lernen. Dann hätte er die Minimalausrüstung beisammen, mit der er alleinreisende Damen bespaßen könnte, die ihn dafür reich beschenken würden. Das würde seiner Mutter auch mal guttun. Autsch, verdammt: Er hatte vergessen, bei seiner Mutter anzurufen. Sie würde ihn mal wieder für einen Rabensohn halten - leider völlig zu Recht.

    Jochen pflegte ein dauerhaft gespanntes Verhältnis zu seiner alten Dame. Seit Jahren führten sie die gleichen Dialoge am Telefon: Wetter, Nachbarn, Früher. Jedes Mal fragte seine Mutter, was er denn eigentlich so arbeite da in Berlin. Er hatte ihr neulich erst eine CD mit seinen Radiosendungen geschickt, damit sie endlich konkretes Material zum Angeben hatte für die Nachbarn. Aber seine Mutter hatte Angst, den CD-Spieler zu betätigen. Sie hatte im Fernsehen vor Jahren mal was von Laserstrahlen gehört und behauptete einfach, die CD würde nicht funktionieren. Dabei hatte sie es gar nicht versucht, das konnte Jochen beschwören.
    Aber Fakten waren der alten Dame völlig schnuppe. Hauptsache, sie konnte ihren Lieblingssatz loswerden: »Du kümmerst dich ja nicht um mich. Dein Bruder, der kümmert sich. Der war letzte Woche erst hier.« Ja, der hatte auch nur zehn Kilometer zu fahren und nicht vierhundert, der schleimige Erbschleicher mit seinen beiden missratenen Bälgern, die völlig unverdient den Status der einzigen Enkel genossen.
    Wie lange würde das noch gut gehen mit Mutter? Sie peilte immer weniger, wurde zugleich aber immer widerspenstiger. Jochen quälte sein schlechtes Gewissen: Sie hatte ihr ganzes Leben geopfert für ihre beiden Söhne, sie hatte früh ihren Mann verloren und wartete seither geduldig auf den Sensenmann. Und er hatte nicht mal Bock, ihre Storys anzuhören. Geschweige denn die Kohle, ihr ein feines Heim zu spendieren, in dem sie womöglich noch jahrelang zubringen könnte.
    Seit dem Tod seines Vaters hatte Mutter ihr Leben auf Sparbetrieb umgestellt. Jochens alter Herr hatte bei Hitlers Reichsbahn Dreher gelernt und sich nach dem Krieg hochgerackert zum Ausbildungsleiter. Eines Tages hatte er alle Bahn-Azubis herumkommandieren dürfen.

    Trotz des einen kargen Gehalts hatten sich seine Eltern ein Reihenhaus zwischen anderen Eisenbahnern zusammengespart, auf einem Eisenbahngrundstück mit einem Eisenbahnkredit. Für den Traum von der eigenen Scholle hatten sie auf alles verzichtet, auf Urlaub, Auto, jedweden Luxus. Jochen hatte einen Heidenrespekt vor der Disziplin und der
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