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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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nichts, jetzt in Trauer zu versinken. Zu viel hängt von mir ab. Wenn ich schwach werde, reiße ich Jana mit, das kann ich mir nicht erlauben.«
    »Wenn ich dir helfen kann, irgendwie, musst du es sagen«, bietet sie an.
    »Danke, aber ich wüsste nicht, wie«, antworte ich. »Außer …«
    Du könntest dich von mir ficken lassen, Theodora, das wäre mir eine große Hilfe.
    »Was denn?«, fragt sie.
    »Na ja … es ist ein bisschen mühsam mit der Mutter von Jana, mit meiner Schwiegermutter, meine ich. Sie steht unter großer Spannung, das ist ja auch ganz verständlich, aber ich komme einfach kaum mehr zur Ruhe wegen ihr. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, in ein Hotel zu ziehen.«
    »Du willst umziehen?«
    »Nur übergangsweise. Ich brauche einen Ort, um mich zurückzuziehen. Zu Hause geht das nicht. Nicht nur wegen Janas Mutter. Das Haus erinnert mich einfach so an Jana, wir wohnen da schließlich schon sechs Jahre lang gemeinsam. Wenn ich abends alleine im Bett liege, in unserem Bett, dann habe ich ein seltsames Gefühl. Findest du das komisch?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Nein, das verstehe ich schon«, sagt sie. Dann fügt sie hinzu: »Vielleicht habe ich etwas für dich.« Sie beißt sich auf die Unterlippe, als müsse sie nachdenken. Das habe ich noch nie gesehen. Es steht ihr fantastisch.
    »Willst du bei mir einziehen?«, fragt sie.
    »Wie bitte?«
    Theodora wird rot.
    »Na ja, ich teile mir die Wohnung mit einem Freund«, erklärt sie. »Er ist für ein halbes Jahr in Japan. Erst hatten wir einen Zwischenmieter, aber der ist früher ausgezogen als erwartet. Jetzt steht das Zimmer leer. Es ist alles da, Bett, Schrank und so weiter. Johann kommt erst in zwei Monaten zurück.«
    »Wenn es dir nichts ausmacht?«
    »Ach was!« Sie lächelt. »Natürlich muss ich Johann erst fragen. Ich schicke ihm gleich eine Mail. Na – was denkst du?«
    Ich denke die wildesten Sachen, aber das behalte ich lieber für mich. Natürlich stimme ich zu, nachdem ich der Form halber noch ein paarmal gefragt habe, ob es ihr wirklich nichts ausmacht. Fritz hatte recht – das Schicksal lächelt dem zu, der es richtig zu interpretieren weiß.

 
     
     
     
    Z u Hause herrscht unverändert kalter Krieg. Janas Mutter redet nicht mehr mit mir. Aber so kann sie wenigstens auch nicht fragen, warum ich immer noch nicht bei Jana war, seit Samstag nicht, das war vorgestern. Ich rufe auch nicht im Krankenhaus an. Jana war so unausstehlich die letzte Zeit. Vielleicht wird sie verträglicher, wenn sie mich ein bisschen vermisst. Zum Abendessen bestelle ich Pizza.
    Für Janas Mutter bestelle ich in einem Anflug von Gönnerlaune auch eine. Verdient hat sie es nicht. Kurz überlege ich, ob ich ihr eine mit doppelt Pilzen bestellen soll, sie ist nämlich allergisch gegen Pilze. Aber warum soll ich einer jämmerlichen alten Hexe das Leben schwer machen? Sie ist halt, wie sie ist. Heimlich muss ich darüber lachen, wie sie die Pizza erst zurückweist, um sie dann, als sie schon halb abgekühlt ist, doch noch in sich hineinzustopfen – mit einem Ausdruck tödlicher Verachtung. Es fühlt sich an wie ein kleiner Sieg, eine geglückte Gemeinheit, eine lustige Kränkung ihres Schwiegermutter-Egos. Abends um zehn kommt dann eine SMS von Theodora, worin steht, dass ihr Mitbewohner einverstanden ist und ich morgen Abend einziehen kann, wenn ich will. Sie scheint es gar nicht abwarten zu können. Ich lege mich ins Bett und falle in einen tiefen, zufriedenen Schlaf.

 
     
     
     
    M eine Glückssträhne hält an. Jana macht mir keine Vorwürfe, als ich sie heute Morgen besuche. Im Gegenteil, sie ist froh und dankbar, wie sich das gehört. Ich habe ihr ein paar Bücher mitgebracht, von denen ich weiß, dass sie sie gerne liest.
    »Danke«, sagt sie. »Mutti hat mir auch schon Bücher gebracht, aber natürlich die falschen.«
    Sie lächelt unsicher.
    »Mutti meint es gut, weißt du?«
    Ich nicke freundlich.
    »Ich verstehe schon«, sage ich. »Aber für mich ist es auch schwierig. Ich werde ein paar Wochen in ein Hotel ziehen, denke ich. Mal schauen, was sich finden lässt.«
    Jana macht einen betrübten Eindruck.
    »Das heißt nicht, dass ich mich nicht mehr um deine Mutter kümmere«, sage ich. »Aber die Situation, wie sie jetzt ist, ist unerträglich. Weißt du … wenn ich im Wohnzimmer sitze, zum Beispiel, und ich sehe all die Möbel, die du ausgesucht hast, dann muss ich dauernd an dich denken.«
    »Komm«, sagt Jana und breitet die Arme aus.

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