Der Wachsmann
Hokuspokus, und scheint sich jetzt eher darauf zu verlegen, den Juden nachzustellen, als irgendeine andere Spur zu verfolgen. Wozu? Warum in Dreiteufels Namen sollten diese Juden trotz ihrer Absonderlichkeit solch gräßliche Morde begehen?«
»Du hast die Antwort vielleicht schon gegeben«, sinnierte Paul bedeutungsvoll.
»Wie?«
»In des Teufels Namen eben. Es gäbe gute Gründe dafür, einen jeden zu verdächtigen, der nur in irgendeiner Weise sonderbar ist, doch andererseits sagt man gerade den Juden nach, daß viele von ihnen im Bunde mit dem Teufel stehen.«
Peter dachte mit Furcht und Unbehagen daran, daß ihm der Prior von einem erschreckenden Bildwerk an einer der neuen Kathedralen im Frankenreich erzählt hatte, auf dem ein Teufel der ohnehin schon blinden Synagoge noch einen Pfeil ins Auge schießt. Peter konnte sich nicht dazu entschließen, es seinem Freund anzuvertrauen, und so nahm er das Bild und seine Besorgnis mit in den Schlaf.
18. Kapitel
Als die beiden Pfleger anderntags durchs Tal der Lände zustrebten, hörten sie zum ersten Mal von dem Gerücht, das ihnen fortan überall in der Stadt und in vielerlei Variationen begegnen sollte. Die Geschichte mit Perchtold und seiner wundersamen Rückkehr hatte sich schnell herumgesprochen. Und irgendwie war dabei auch bekannt geworden, daß ein geheimnisvolles Siegel eine wichtige Rolle gespielt habe. Keiner hatte es zwar je gesehen, aber ausgewiesene Kenner solcherart Zaubermittel schossen plötzlich wie Pilze aus dem Boden.
Da gab es die natürlichen, magischen Kräfte, wie sie zum Beispiel Edelsteinen oder gewissen Pflanzen innewohnten, mit denen man segensreiche Wirkungen erzielen konnte. Zu ihnen gehörten auch die Einflüsse des Mondes und der Gestirne, die den Rhythmus der Körpersäfte bestimmten. Wer nun diese Kräfte einzufangen und in einem Siegel oder Amulett zu konservieren verstehe, der besitze heilende Macht. Ein berühmter Arzt, Arnold von Villanova, habe sich in seiner Schrift Liber sigillorum darüber verbreitet und ihm sei es vor Jahren auch gelungen, mit Hilfe eines solchen Siegels den Heiligen Vater von einer Nierenkolik zu befreien.
Für viele war es völlig klar, daß garstige Dämonen Krankheiten wie Fieber, Fallsucht und Wahnsinn bewirkten und auch an der schwindenden Manneskraft Schuld trügen. Dies hätten schließlich schon der heilige Augustin und der große Thomas von Aquin bestätigt. Folglich gelte es, die Dämonen zu exorzieren und zu bannen. Ein jeder Dämon aber habe seinen eigenen Namen und sein eigenes Siegel, das den Namen verschlüsselt preisgebe. Wer ein solches Siegel besitze, habe Macht über die Dämonen, im Guten wie im Bösen. Die geheimnisvollen Zeichen seien fünf-oder sechszackige Sterne oder Namen und Sprüche in einer fremdartigen Schrift. Man schreibe sie auf Pergament aus der Haut bestimmter Tiere, graviere sie in Metall oder ritze sie in Scheiben aus dem Wachs jungfräulicher Bienen. Und manche der Siegel zeigten auch Bilder, ja sogar den Teufel persönlich auf seinem Thron. Das Schlimme daran sei, daß deren Besitzer sie nicht nur zum Heile einsetzten, sondern daß Zauberer und Malefizpersonen sich erdreisteten, sich die Dämonen damit untertan zu machen oder gar die Höllenfürsten herbeizurufen. Dadurch entstehe schrecklicher Unfug und Schaden, und wer immer sich solchen Zaubers schuldig mache, den müsse man erschlagen. So hätten ohne Zweifel auch die grausigen Vorgänge der letzten Wochen damit zu tun. Man müsse also Ausschau halten, wer im Besitz eines solchen Siegels sei.
Peter blieb fast das Herz stehen, als er von diesen Mutmaßungen hörte. Wenn die aufgescheuchten Bürger Wind davon bekämen, daß er…
Gütiger Gott! Er konnte nur hoffen, daß der Nickel Wort hielt, daß Agnes sich nicht verplapperte und daß die Buben das verfluchte Ding längst vergessen hatten. Und er mußte es schleunigst loswerden.
Es war ihm wenig Trost, ja eher neue Nahrung für die Glut seiner Besorgnis, daß der Verdacht zunächst auf andere fiel.
Waren es nicht die Juden, die sich auf solch Teufelswerk am besten verstünden? Denn sie gebrauchten doch geheime Zeichen, die sie gegen alle Regel von rechts nach links aufmalten. Und sie kannten ganz offenbar die Namen unzähliger Geister und gebrauchten unablässig Psalmverse. Und ihr heiliges Buch, das sie als Gesetzeswerk ausgaben, enthielt doch wohl in erster Linie Zaubersprüche. Und Moses und Aaron waren Magier, die das Wasser teilten oder Stäbe zu
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