Der Wachsmann
Ich neige zu der Annahme, daß es meist mit Ketzerei und Unglauben zu tun hat. Und außerdem ist es noch nicht allzulange her, da sollen Juden den Bischof von Trier mit einem solchen Wachsmann umgebracht haben, wie Ihr ihn hier vor Euch seht.«
»Wie um alles in der Welt…«, stammelte Peter erschrocken.
»Ganz einfach«, fuhr der Richter fast triumphierend fort. »Sie fertigten ein solches Bildnis, ließen es von einem abtrünnigen und verruchten Kleriker taufen und danach über einem Feuer schmelzen. Und mit jedem Tropfen, der herabfiel, hauchte der Bischof ein Stück mehr von seinem Leben aus.«
»Ihr glaubt daran?« fragte Paul mit düsterer Miene.
»Ich weiß es nicht«, gab der Richter zurück. »Jedenfalls bin ich auch nicht geneigt, an die reine Unschuld dieses sonderbaren Volkes zu glauben. Man erzählt sich noch ganz andere Dinge: Daß sie von Zeit zu Zeit unschuldige Kinder bei ihren scheußlichen Ritualen morden, ehrbare Christenmenschen durch Nestelknüpfen unfruchtbar machen und vieles mehr. Und Ihr seid doch so besorgt um unseren König. Vielleicht wollen sie gar dem ans Leben?«
»Warum?« hauchte Peter blaß.
»Aus Rache vielleicht. Unter Ludwigs Vater wurde meines Wissens die gesamte Judengemeinde dieser Stadt ausgelöscht.«
»Aber Ludwig soll doch gut zu den Juden sein«, gab nun auch Paul zu bedenken. »Manche schelten ihn gar deswegen.«
Der Richter war nicht zu beirren. »Ludwig schützt sie, und er nimmt sie dafür aus. Nicht mehr und nicht weniger. Und vielleicht kommen die beschnittenen Sonderlinge da eines Tages auf die Idee, daß sie sich einen neuen König suchen könnten. Der verstorbene Albrecht von Habsburg soll sie ja regelrecht hofiert haben. Vielleicht erwarten sie von seinen Söhnen Ähnliches und setzen jetzt heimlich auf Friedrich und Leopold. Ich trau’ ihnen jedenfalls nicht über den Weg. Wer wuchert, ist zu allem fähig…«
»So etwas Ähnliches hat gestern nacht auch der alte Pütrich vor sich hingebrummt«, erinnerte sich Peter halblaut.
»So?« horchte der Richter auf. »Na, vielleicht hat er ja recht. Jedenfalls bin ich in dieser Sache mindestens so sehr geneigt, dem alten Fuchs Pütrich Glauben zu schenken, als diesem gelehrten Prior.«
»Ihr mögt sie nicht recht, diese Juden?« argwöhnte Peter. Vielleicht hatte es damit zu tun, daß das Haus des Richters nur einen Steinwurf weit von der Gasse der Juden entfernt lag.
»Es ist nichts Persönliches«, versicherte indes der Richter. »Unser Herr König hält sie nach dem Augsburger Judenrecht, wonach sie ihre Angelegenheiten weitgehend selber regeln. Dieses Recht gesteht ihnen aber auch einen maßlosen Zinsfuß zu, und da fängt es an mir aufzustoßen. Denn seht, wenn ein christlicher Gläubiger sein Geld nicht bekommt, dann tritt er seine Schuldforderung an die Juden ab, und diese nun treiben den Schuldner in den Ruin. Und meint Ihr etwa, es mache Spaß, alle naslang im Gerichtsstand einem dieser Wucherer zu seinem Vorteil verhelfen zu müssen und dabei jedesmal einen Christenmenschen dem Bettel auszuliefern? Einerlei. Ich glaube, wir haben uns jetzt die Köpfe lange genug darüber heiß geredet.«
»Sagt bitte nur noch eins!« bat Peter. »Was wollt Ihr jetzt tun?«
»Das ist schnell umrissen: Weiter nach dem Mörder suchen, nach Malefizpersonen und Scharlatanen Ausschau halten, die sich des crimen magiae…«
»Des was?« fragte Paul begriffsstutzig dazwischen.
»… na, die sich der Zauberei schuldig machen, und den Juden will ich auf den Zahn fühlen.«
»Aber wenn das in der Stadt bekannt wird, ich meine mit den Juden, dann wird’s doch Mord und Totschlag geben.« Peter war noch immer höchst besorgt und erregt.
»Eine Judenschlacht wäre das letzte, was ich in dieser Stadt jetzt gebrauchen könnte. Glaubt Ihr vielleicht, ich ziehe durch die Gassen und posaune dies überall herum? Haltet mich bitte nicht für einen solchen Narren! Und nun: Gott befohlen!«
Peter ging die Unterredung mit dem Richter den ganzen Tag über nicht aus dem Kopf, und abends verspürte er das dringende Bedürfnis, sich mit Paul noch einmal darüber zu unterhalten. Zwei Dinge beschäftigten ihn ganz besonders: Das Verhalten des Richters und das Wesen dieses geheimnisvollen Volkes. Er selbst hatte bislang die meiste Zeit seines Lebens außerhalb der Stadt verbracht und daher mit Juden wenig zu tun gehabt, denn Grundbesitz blieb denen versagt, so daß sie auf dem Lande kaum zu finden waren, zumal sie dort irgendwelchen
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