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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Übergriffen noch schutzloser preisgegeben waren. Sie lebten abgesondert und meist zusammengepfercht in eigenen Bereichen der Städte. Aus dem Fernhandel hatten die christlichen Rivalen sie nach und nach verdrängt, Zünfte blieben ihnen weitgehend verschlossen, und seit dem vierten Laterankonzil waren ihnen auch öffentliche Ämter verwehrt. In München besaßen sie nicht einmal das Bürgerrecht. So blieb ihnen kaum etwas anderes, als das gewinnträchtige, aber anstößige Zins-und Kreditgeschäft, die wankelmütige Duldung seitens der Bürger und der Schutz durch Herzog oder König.
    »Was sind das für Leute, Paul? Weißt du, warum sie so schlecht beleumundet und vielerorts verhaßt sind, wo man sie andererseits doch kaum richtig zu Gesicht bekommt?«
    »Wahrscheinlich grad deshalb«, mutmaßte Paul. »Sie sind eben so anders, irgendwie fremd. Und was die Leute nicht kennen, das hat ihnen zu allen Zeiten angst gemacht. Setz einen Bauer vor eine Tafel mit maurischen Köstlichkeiten, und er wird dir nichts davon fressen.«
    »Hast du…?«
    »Nein. Ich hab’ nur davon gehört. Aber deshalb reden und tuscheln sie ja auch über alles Fremde. Erst machen sie sich vielleicht nur darüber lustig, aber irgendwann ereifern sie sich oder es kommt zum Streit. Und dann kommt auch bestimmt gleich einer daher, der behauptet, sie könnten sich sowohl der Ursache des Streites entledigen als auch sich selbst von Schuld und Befleckung reinigen. Und dann schlagen die leichtgläubigen Toren alles tot, was anders ist oder ihnen mißfällt. So einfach ist das.«
    »Aber was macht die Juden denn so anders?« bohrte Peter hartnäckig weiter. »Meinst du die seltsamen Hüte oder die gelben Flecke auf ihren Gewändern?«
    »Unsinn!« lachte Paul. »Den grellen Schmuck haben ihnen doch die Pfaffen verordnet, damit sich nur ja kein rechtschaffener Christ versehentlich mit einem Juden einlasse. Nein, nein, es hat einfach damit zu tun, daß uns vieles, was sie tun, unverständlich erscheint. Du mußt nur zu den Fleischhäckeln gehen oder zu den Bäckern und Weinhändlern. Sie alle werden dir sagen, daß sie das Pack nicht mögen, weil denen ihr Fleisch oder ihr Brot oder der Wein ganz offensichtlich nicht gut genug ist.«
    »Wieso?« wunderte sich Peter. »Ich hab’ noch nie einen Juden auf dem Markt streiten sehen, die Bauern und Marktweiber dagegen andauernd.«
    »Natürlich nicht!« Paul lächelte milde über die Einfalt seines jungen Freundes. »Sie meiden die Waren eines Christen wie der Teufel das Weihwasser. Und kein Jud würde je mit dir den Teller teilen. Das ist es ja, was viele neben dem Wucher zur Weißglut reizt. Es ist, als ob sie sich etwas Besseres dünkten. Und dabei stellen die Pfaffen andauernd die Behauptung auf, daß die Juden zu ewiger Knechtschaft verdammt seien, weil sie den Herrn ermordet hätten.«
    »Aber das war doch vor Hunderten von Jahren«, wandte Peter ein. »Das Morden muß doch irgendwann einmal aufhören.«
    »Ich glaube, die Pfaffen tragen es ihnen nach, daß sie gesagt haben: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! Und damit der Kohl noch schön fett wird, tun sie vieles gerade andersherum als wir Christen: Wenn du fastest, dann schlemmen sie; am hochheiligen Tag des Herrn schachern sie, während sie samstags den Müßiggang pflegen; und wenn wir das Leiden Christi begehen und seinen Tod beklagen, dann feiern sie irgend so ein belangloses Fest, das angeblich noch auf heidnische Ägypter zurückgeht.«
    »Ich versteh’ das nicht«, räumte Peter kopfschüttelnd ein. »Warum gehen sie dann nicht einfach fort, wenn sie bei uns so schlecht gelitten sind?«
    »Wohin denn, du Schlaukopf?« fragte Paul zurück. »Es mag sie doch keiner so recht. Sie sind unstet wie die Wolken und heimatlos wie der Wind.«
    »Dann denkst du ebenso wie der Richter?«
    »Das will ich nicht sagen. Mir selbst hat bislang keiner was getan. Aber ich schau’ eben den Leuten aufs Maul.«
    »Weißt du«, gestand Peter bedrückt, »ich werd’ aus dem Diener einfach nicht schlau. Er betont immer wieder, daß er in erster Linie dem König verpflichtet sei, aber er scheint sich fast lustig zu machen über meine Befürchtungen, daß der König vielleicht in Gefahr sei. Er ist schnell bei der Hand, einen der Flößer zu verdammen, während er den Schuster mit fadenscheiniger Begründung laufen läßt und die Pütrichs ständig in Schutz nimmt, auch wenn er den Alten gelegentlich anraunzt. Er hält die Psalmen für unwichtigen

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