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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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leiden könnt’, aber schlachten tun die noch ganz anders.«
    »Ist doch egal«, beharrte der erstere starrköpfig, »aber ausbluten haben sie den Leonhart lassen. Das ist für mich nichts anderes.«
    »Ach was«, wandte da ein Kaufmannsgehilfe ein, »die fressen doch nur Grünzeug und kübelweise Knoblauch und schon gar keine Schweine.«
    Die Menge lachte, und ein vierschrötiger Handwerksbursch fügte zum Gaudium aller hinzu: »Drum stinkt der Herr Jud auch so kräftig aus dem Maul als wär er der Leibhaftige persönlich. Mich tät’ freiwillig keiner in deren Gasse bringen.«
    Ein Bäckergesell, dem die Regeln der Zunft noch immer Ehelosigkeit abverlangten, wollte wissen: »Und geil sind die Burschen wie ein Haufen Karnickel. Die kannst du totschlagen und sie vermehr’n sich doch wie Unkraut, weil sie Tag und Nacht rammeln.«
    »In Böhmen soll weiland ein jüdischer Quacksalber schon versucht haben, die Menschheit zu vergiften«, behauptete ein Fernreisender.
    »Warum denn?« fragte einer unbedarft.
    »Warum? Warum?« äffte ihn sein Nachbar nach. »Was braucht so ein Jud schon für einen besonderen Grund? Morden will er, weil’s seine Natur ist!«
    »Das Gesindel müßt’ man ersäufen wie einen Wurf unnützer Katzen«, schlug einer von den Taglöhnern vor.
    »Oder den Ratzenklauber auf sie hetzen. Der kennt die Biester und den Jud wahrscheinlich gar nicht auseinander.«
    Das Hohnlachen konnte einem empfindlicheren Gemüt Schauer über den Rücken jagen. Aber es schien nicht viele von dieser Sorte zu geben. Zumindest machte sich keiner von ihnen bemerkbar.
    Peter und Paul, die auf dem großen Marktplatz eine Weile schweigend zugehört hatten, lösten sich aus der Menge und schritten in Richtung Rathaus.
    »Wir können grad bloß zuschauen«, bemerkte Peter resigniert, »und hoffen, daß der Herrgott rasch ein Einsehen hat. Ich wüßte jedenfalls nicht, wie wir diese Woge des Hasses noch aufhalten könnten, ohne dabei selbst hinweggespült zu werden.«
    »Wahrscheinlich wär’ es jetzt sogar noch am leichtesten«, mutmaßte Paul. »Aber wenn sie erst nachmittags wieder aus den Wirtshäusern kommen, dann wird’s gefährlich.«
    Plötzlich schrillten ein paar scharfe Pfiffe aus der Menge. Zwei der Viertelhauptleute überquerten in Begleitung von Gerichtsdienern den Platz und gingen zielstrebig auf des Dieners Gasse zu. Wenig später folgten vier weitere Hauptleute und zwei Richtersknechte. Da schienen einige aus der kampflustigen Meute zu begreifen.
    »Es geht los!« brüllten sie. »Der Richter sammelt schon seine Leute. Jetzt geht’s auf Judenhatz! Hütet euch, ihr verfluchten Mordbuben!«
    Die Menge drängte schiebend und stoßend den Anführern der streitbaren Aufgebote aus den einzelnen Stadtvierteln hinterher und versammelte sich lauernd vor dem Hause des Stadtrichters.
    »Nieder mit dem Judenvolk!« schrien die ersten forsch und schüttelten drohend die Fäuste in Richtung Judengasse. »Wir holen sie raus!« und: »Keine Gnade!«
    Es bedurfte nur noch eines Funkens, und der unheilvolle Brand wäre entfacht. Plötzlich stand wie aus heiterem Himmel der Nickel Caspar neben den beiden Freunden. Er grinste unverschämt und tönte:
    »Gestern wart ihr ja noch taub. Aber heute rufen’s gar die Pfaffen von der Kanzel herunter, und die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Seht nur zu, daß ihr nicht auf die falsche Seite geratet! Und dieser Rat kostet euch nichts!«
    Peter und Paul hatten nicht übel Lust, sich an dem wetterwendischen Schwätzer zu vergreifen, aber es wäre ihnen in der aufgeheizten Stimmung nicht gut bekommen. So schlichen sie nur bedrückt und mutlos zum Maenhartbräu.
    Agnes begrüßte Peter mit leuchtenden Augen und versprach, gleich etwas Feines aus der Küche zu bringen. Es tat gut, endlich wieder einmal jemandem in die Augen zu blicken, der sich über sein Kommen freute.
    »Geht’s dir gut?« fragte sie denn auch besorgt, als sie die dampfenden Schüsseln auf den Tisch stellte.
    »Einerseits wohl«, versicherte Peter, »aber die Umstände, die machen mir Sorgen. Da draußen brodelt’s und ich weiß nicht, wie man den Topf vom Feuer nimmt.«
    »Hab’s schon gehört«, erwiderte Agnes ernst. »Dummheit und Mißgunst ergeben ein übles Paar. Und alter Haß stirbt eben nicht aus.«
    »Was können wir schon tun?« fragte Paul bitter. Peter schien plötzlich ein Gedanke zu beflügeln. Er rüttelte den Freund am Arm: »Hör zu! Das einzige, was wir tun können ist, weiter nach dem

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