Der Wachsmann
Sie dankten und traten den Rückweg an.
Paul schien über irgend etwas zu grübeln und platzte nach einer Weile heraus: »Ich kenn’ einen von den Brüdern. Wenn ich nur noch wüßte, wie er heißt.«
»Wovon sprichst du?« fragte Peter verwundert.
»Na, von den Pfaffen, den Franziskanern. Ich bin vor einiger Zeit auf dem Heimweg fast über einen gestolpert. Den könnten wir fragen. Der schien mir zwar ein wenig seltsam, und einen anständigen Gute-Nacht-Trunk hat der Kerl auch verweigert, aber ich bin nicht nachtragend. Wie hieß der bloß?«
»Ist doch egal«, lachte Peter. »Wir können jeden fragen.«
»Von wegen!« protestierte Paul. »Der hat was von Ungeheuern und Teufeln und vom Mittagsdämon gefaselt. Ich sage dir, der kennt sich da aus. Es war irgendwas, was mit mir zu tun hatte, was ganz in meiner Nähe war.«
»Das glaub’ ich gern, wenn er neben dir herlief. Du warst wahrscheinlich nur besoffen wie drei Fuhrknechte zusammen.«
»Spotte nicht!« schimpfte Paul. »Mach lieber Vorschläge. Vielleicht komm’ ich dann drauf.«
»Was für Vorschläge?«
»Na, Namen eben, du Tölpel! Du warst doch im Kloster und kennst die Brüder!«
»Bernhardus?«
»Nein.«
»Martinus?«
»Nein. Das sind doch Allerweltsnamen. Es war was Besonderes. So wie Pankraz.«
»Wie wär’s mit Frumentius?«
»Kalt.«
»Oder Honorius?«
»Eiskalt… Kälte! Das ist es. Ich hab’s«, rief Paul voller Stolz. »Servatius hat er geheißen.«
»Und was hat das mit dir zu tun?« fragte Peter verwundert.
»Die Eisheiligen, du Heide! Pankratius, Servatius und die kalte Sophie. Er kommt gleich nach mir.«
Peter lachte schallend und wäre ums Haar in eine riesige Pfütze getappt. Paul gab sich erst schmollend und dann prophetisch. »Du wirst mir noch dankbar sein«, orakelte er, »wart’s nur ab!«
Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr wich ihre Fröhlichkeit wieder dumpfer Bedrückung. Immerhin war der Himmel noch nicht gerötet, und die Sturmglocke hatte bislang auch noch nicht getönt.
Zwei Wagen, hoch aufgeladen und mit Planen bedeckt, die mit seltsamen Zeichen bemalt waren, kamen ihnen entgegen. Aufsitzend oder einherlaufend, begleiteten Männer in bunten Hosen und Frauen mit feurigen Augen und roten Haaren die Karren. Es waren Schauspieler, Gaukler und Jongleure, die seit den Tagen des heiligen Augustinus als Verbündete des Teufels angesehen wurden und die nun eiligst die Stadt verließen, in der sich Unheil für sie zusammenbraute.
Als Peter und Paul durchs Tor traten, stellten sie im Tal zwar rege Geschäftigkeit fest, aber von Pogromstimmung war nichts zu spüren. Das mußte noch nichts besagen, denn der blutrünstige Pöbel konnte inzwischen längst in die Judengasse eingedrungen und dort mitten im schönsten Morden sein. Die Spannung war schier unerträglich und zerrte gehörig an den Nerven, bis die Nachrichten im Wirtshaus und eine fröhlich lachende Agnes sie davon erlösten.
Die beiden Pfleger hatten kaum die Stadt verlassen, als Konrad Diener an ein Fenster seines Obergeschosses getreten war und von dort aus zu der aufgepeitschten Menge gesprochen hatte: »Heute morgen erreichte uns eine Botschaft unseres verehrten Königs, mit der er die Stadt auffordert, sich unverzüglich in Verteidigungsbereitschaft zu versetzen und das Aufgebot der Stadt bereitzustellen, damit es zu Mariae Auffahrt ins Feld rücken kann, um sich baldmöglichst mit seinen Truppen zu vereinen. Es wird gemeldet, daß Friedrich und Leopold von Habsburg bereits vorrücken. Somit ist der Krieg unvermeidlich. Ich habe die Hauptleute einbestellt, um mit ihnen die Lage und die erforderlichen Schritte zu erörtern. Geht jetzt nach Hause und tut Eure Pflicht. Räumt die Schäden des Unwetters beiseite und folgt den Anweisungen. Jeder, der auch nur am Eingang zur Judengasse angetroffen wird, wandert in den Stock und Schlimmeres, so wahr ich Richter dieser Stadt bin. Geht jetzt, Leute! Geht nach Hause!«
Das Murren hielt zwar noch eine Weile an, aber schon begannen die Knechte des Richters die Menge nachdrücklich aufzulösen und mit ihren Spießen auch kleinste Grüppchen zu verjagen. Und urplötzlich schlug die Stimmung um. Was eben noch den Juden zugedacht war, dafür mußten jetzt die Österreicher herhalten. Die Kraftmeier eilten nach Hause und kramten ihre Waffen hervor, fetteten das Lederzeug und polierten den Stahl. Die Maulhelden belebten auf Gassen und Märkten vergangenen Ruhm und schwelgten in künftigen
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