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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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schon anhaben?«
    »Nun ja, das ist so…«, druckste Peter herum.
    »Spuck es aus!« forderte Paul und packte den Jüngeren drohend am Wams.
    »Es ist wegen dem Siegel«, rückte Peter zögernd heraus.
    »Wieso? Was ist damit? Sag schon!«
    » Ich hab’s.«
    »Du?« Paul schien echt bestürzt.
    »Ja. Ich hab’ es bei den Buben gefunden und… ach, ich kann dir das jetzt nicht alles erklären.«
    »Wo ist es jetzt?« fragte Paul mit bohrendem Blick.
    »Zu Hause.«
    »Wo?«
    »Na, in meinem Sack, bei dir in der Kammer.«
    Paul stieß ein hysterisches Lachen aus und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Natürlich! Selbstverständlich! Wo sonst? Wo auf Gottes weiter Erde wäre es auch besser aufgehoben. Bei den Pfaffen? Nein! Beim Richter? Auf keinen Fall! Seht her, meine Freunde, und verneigt euch! Vor euch steht Meister Knoll, der Siegelbewahrer.«
    Ein greller Blitz verlieh ihm einen Atemzug lang himmlische Würde.
    »Ihr wollt es sehen? Aber ja, tretet herbei! Ihr möchtet es gerne haben? Ei, freilich. Nein, Ihr müßt uns nicht erst die Kehle durchschneiden. «
    Peter stand zunächst das Maul offen, dann mußte er ungewollt lachen über die aberwitzige Schau, die sein Freund vollführte. Aber er zischte auch sogleich besorgt: »Nicht so laut! Es muß doch keiner hören.«
    »Wieso nicht?« Paul selbst fand es gar nicht lustig. »Ich will es schließlich nicht haben. Hörst du? ICH WILL DAS TEUFELSZEUG NICHT HABEN! Nicht in meiner Hand, nicht in meiner Kammer, nicht im Haus, nirgendwo!« Er hatte zuletzt so laut gebrüllt, daß es in der ganzen Gasse zu hören war, und Peter beschwor ihn: »Paul, bitte!«
    »Du hättest mir’s wenigstens sagen können«, erklärte dieser nach einer Weile Schweigen ganz ruhig. Doch darin lag mehr Verletztheit, als wenn er gebrüllt hätte.
    »Du hast recht. Aber es war bestimmt kein Mißtrauen. Ich wollte dich da nicht hineinziehen. Es war dumm von mir.«
    »Allerdings!« bestärkte ihn Paul. »Und jetzt?«
    »Laß uns nach Hause geh’n und drüber reden!«
    Sie erreichten eben noch den Hof, als die ersten, schweren Tropfen fielen, und gleich darauf brach die Hölle los. Erst fegte der Sturm über die Stadt hinweg, riß Dächer mit sich fort und beugte mannsdicke Bäume, bis sie krachend zerbarsten. Daraufhin lud der Sturm den Hagel ein, die heil gebliebenen Dächer zu durchschlagen und Jagd auf alles zu machen, was sich draußen bewegte. Und als der Hagel sich ausgetobt hatte, überließ er der Sintflut das Feld, die in die lecken Häuser einbrach, die Gassen verschlammte und die umliegenden Felder aufschwemmte. Nur dem Blitz gestanden die Wettergötter diesmal kein Brandopfer zu.

19. Kapitel
     
    In den frühen Morgenstunden hatten sich Unwetter und Streithähne beruhigt. Doch während das Gewitter in Pauls Kammer reinigend und belebend gewirkt hatte, bot sich den ersten Kirchgängern ein Bild der Verwüstung. Von den Dächern heruntergerissene Strohballen lagen zuhauf im Matsch, Äste und abgefetzte Zweige bedeckten die Gassen. Hölzerne Traufen waren unter der Last geborsten, Regentonnen schwappten kaskadenartig über. Die Fluten hatten tiefe Rinnen in die Gassen gespült, die sich an unzähligen Stellen mit stinkender Jauche füllten, die aus Sickergruben und Abtritten hervorquoll. Das Gemüse in den Gärten war vielfach zerschlagen und grüne Äpfelchen, denen die Reife nicht mehr vergönnt war, häuften sich aufgeplatzt um leere Stämme. Rinder und Pferde hatten sich in panischer Angst losgerissen, Menschen zertreten und Zäune zersplittert. Das restliche Korn auf den Feldern vor der Stadt lag flach, aufgeschwemmt und vom Schimmel bedroht. Und auf dem Kirchhof hatte der strömende Regen die locker geschichtete Erde auf Leonharts Grab fortgewaschen, und es gab später nicht wenige, die behaupteten, sie hätten sogar einen Zipfel des Leichentuches erspäht, und sie könnten beschwören, daß die Naht offen gewesen sei.
    Es stellte sich bald heraus, daß das Unwetter nicht alle in gleichem Maße heimgesucht hatte; manche waren noch glimpflich davongekommen, während über einen breiten Streifen quer durch die Stadt besondere Verwüstung hereingebrochen war. Und merkwürdigerweise gehörte dazu nicht die Gasse der Juden oder der Maenhartbräu – es war vielmehr das Viertel der Eremiten, in dem der Sturm am meisten gewütet hatte.
    Doch anstatt nun mit leiseren Tönen die Gnade und Vergebung des Allmächtigen zu erflehen, prangerten die Gottesmänner der Stadt um so

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