Der Wachsmann
Mörder zu suchen, um endlich Beweise zu finden. Laß uns nach der Mühle suchen, die Perchtolds Gefängnis war. Möglicherweise finden wir dort einen wertvollen Hinweis.«
Peter hatte dies längst vorgehabt, aber die traurigen Ereignisse und die Hektik der letzten Tage hatten ihn den Vorsatz vergessen lassen.
Sie riefen Perchtold, um sich noch einmal alle Einzelheiten, die ihm irgendwie erinnerlich waren, sehr genau schildern zu lassen.
Auf dem Grieß schlugen die beiden Pfleger gleich die südöstliche Richtung ein, denn von dort mußte Perchtold gekommen sein, und hielten sich diesseits der Bäche, da der Junge sie erst nach seiner Flucht überquert hatte. Es konnte nicht viele Möglichkeiten geben, und Paul schlug vor: »Warum suchen wir nicht als erstes den Mühlbach ab?«
Peter war es recht, obwohl das Gelände nach dem Unwetter beinahe so sumpfig war wie vor Tagen. Und jetzt lagen ihnen auch noch allerhand Äste im Weg. Es dauerte nicht lange und sie standen just an dem Punkt, an dem sich Peter bei seiner Suche zur Umkehr entschlossen hatte. Es war noch immer kein Anzeichen von Betriebsamkeit zu entdecken, doch diesmal hielt er mit Paul auf die Mühle zu. Auf ihr Rufen folgte keine Antwort. Die Tür war von außen verriegelt, aber leicht zu öffnen. Sie traten vorsichtig ein und mußten sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen.
Es war eine Sägmühle, doch die Kraftübertragung war unterbrochen, und es hatte nicht den Anschein, als ob hier in letzter Zeit ein Baum zerkleinert worden wäre. Die Späne, die herumlagen, waren trocken und dürr. Der gestampfte Boden ließ nicht erkennen, ob hier noch vor kurzem jemand gehaust hatte. In einer Ecke lagen zwar zwei Strohsäcke, aber es fand sich kein verräterisches Kleidungsstück oder irgendein brauchbarer Hinweis. Und hatten Essensreste hier gelegen, dann waren sie sicher längst Beute der fetten Ratten geworden.
Paul stieß Peter an und deutete nach oben. Sie stiegen vorsichtig die knarzende Treppe zu einer Art Galerie empor und stießen die Tür zu einem engen Verschlag auf. Muffiger Dunst und stechender Uringeruch wehten ihnen entgegen. Zu ihren Füßen huschten zwei Schatten davon. Peter bückte sich. Vor ihm lagen ein paar Brettchen und Leisten in künstlicher Anordnung, und es schien so, als hätten Kunz und Bruno eben noch aufs neue den Gang erkundet, um zum wiederholten Male festzustellen, daß dort nichts mehr zu holen war.
Peter schmunzelte. Er hockte vor Perchtolds Dressurbühne.
»Hier war es«, versicherte er. »Kein Zweifel.«
Sie schauten sich draußen ein wenig um. Einen Steinwurf entfernt stand ein Kalkofen, in dem Isarkiesel gebrannt wurden, um als Kalk für den Mörtel zum Mauerbau zu dienen. Auch der Ofen schien lange Zeit nicht mehr in Betrieb gewesen zu sein.
»Nicht gerade ermutigend«, nörgelte Paul.
»Laß uns bei der nächsten Mühle anfragen! Wenn wir Glück haben, erfahren wir dort mehr.«
Es dauerte eine Weile, bis sich auf ihr Klopfen hin etwas rührte. Geraume Zeit später steckte ein mürrischer Kerl seinen Kopf, der von einem verlausten Filz gekrönt schien, durch die Türe. Dunkle Ringe umkreisten die glasigen Augen, und das zahnlückige Maul stank nach Fusel. Während ein Großteil der Städter die Sonntagsruhe zur Judenhatz nutzte, zog der Müller es vor, sich zu besaufen.
»Was wollt ihr?« fuhr er sie an. »Packt euch fort!«
»Gott mich Euch!« erwiderte Peter den freundlichen Gruß. »Wir hätten nur gerne eine Auskunft über die vordere Mühle.«
»Weiß nichts. Laßt mich in Ruhe!«
Paul wollte ihn schon am Kittel fassen, aber eine Münze war in dem bedauerlichen Fall von Gedächtnisschwund der beste Arzt.
»Die Hütte hat einmal den Minderbrüdern gehört oder den Klarissen vom Anger. Vielleicht tut sie’s noch. Aber sie war zuletzt vermietet an einen von der Stadt. Hab’ den Namen vergessen. Und jetzt steht sie seit langem leer. Kümmert sich keiner darum. Ist eine Schande. Wollt ihr sie kaufen?«
Peter war sich sicher, daß die Nachfrage weniger der Freude auf Nachbarschaft als vielmehr der Aussicht auf weitere Trinkpfennige galt.
»Bedauerlicherweise nein«, beschied er den Müller. »Aber ist Euch in den letzten Tagen dort etwas aufgefallen, was Euch sonderbar erschien?«
Der Müller schüttelte den Kopf. »Ich kümmer’ mich um meine Angelegenheiten. «
Das kurzfristige Leuchten in seinen Augen war verschwunden, und selbst eine zweite Münze hätte wohl keine weitere Auskunft zutage gebracht.
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