Der Wachsmann
Neider zu Unrecht seines Amts enthoben wurde, da wurde aus gekränktem Stolze Haß, und er sann auf Rache. So ging er – merket auf – zu einem jüdischen Magier und ließ diesen den Satan beschwören. Und der ließ Theophilus einen Pakt unterzeichnen, mit welchem er Gott, der Heiligen Kirche und der Jungfrau Maria abschwören sollte. Er widersagte Gott und der Kirche, nicht aber der Heiligen Jungfrau. Bald darauf befand er sich wieder in Amt und Würden und erfreute sich großen Wohlstands. Doch seine Seele hatte Schaden genommen, war leer, siech und elend. Eines Tages ertrug er es nicht mehr und forderte vom Teufel die Auflösung des Vertrags. Doch der lachte nur, daß die Hölle erbebte. Da warf sich der Jüngling vor dem hölzernen Bilde der Jungfrau nieder, bereute und flehte zum Erbarmen und schlief darüber ein. Darauf stieg Maria hernieder, setzte ihr göttlich Kind ab und bat es, dem Sünder zu vergeben. Doch der Herr Jesus blieb stumm. Und als Maria nicht aufhörte mit ihrer Fürsprache, da fuhr er sie zornig an: ›Warum nur bittest du so sehr für dieses stinkende Aas?‹ Doch schließlich stimmte sie ihn milder, und er rief den Satan herbei und befahl ihm, das teuflische Schriftstück herauszurücken. Die Heilige Jungfrau aber legte es auf den schlafenden Theophilus und kehrte mit ihrem göttlichen Knaben auf ihren Standplatz zurück.«
Im Kirchenvolk waren ergriffenes Schluchzen und laute Seufzer zu vernehmen.
»So erbarmt sich der Himmel derer, die reumütig und einsichtig sind. Doch Blutschuld lastet auf dem verhaßten Volk, das seit den Tagen des Messias verblendet ist, und sie tun alles, um diese Schuld noch zu mehren.«
Er verwies dabei auf den steinernen Schmerzensmann, der sich großer Verehrung erfreute. Die Menge stöhnte auf, und es erhob sich Gemurmel. Der Eiferer fuhr fort:
»Ein verruchter Hebräer war es, der Theophilus in den Teufelspakt trieb. Sie sind in allen scheußlichen Künsten bewandert.
Sie geben vor, kundige Ärzte zu sein, doch ihre Medizin ist wie das Gift der Vipern, und ihre Weiber bewirken die impotentia ex malefico durch Nestelknüpfen und teuflische Flüche. Sie treiben Bildzauber und verfertigen Amulette. Ein übles Machwerk ist ihr Talmud, den schon Justinian als wirres Gespinst von Ketzereien und Lügen bezeichnete und Ludwig der Heilige in großer Zahl verbrennen ließ. Ich sage euch: Wir sind umringt und bedroht von einer Gegenkirche, und schon Petrus Venerabilis nennt sie die Synagoge des Satans. Und der Tag ist nicht mehr fern, da aus ihr auch der Antichrist hervorbrechen wird, denn er entsproß dem jüdischen Stamme Dan, gezeugt von Satan als Inkubus. Deshalb haben auch die Väter des Laterankonzils in weiser Voraussicht verfügt, daß sich ein jeder Christ der Buhlschaft mit Hebräern zu enthalten habe, was insonderheit auf euch Weiber zielt, die ihr den Schwächen des Fleisches rascher erliegt.
Seid also gewarnt: Der Teufel ist unser ärgster Feind, der Versucher schlechthin. Er ist der falsche Zauberer, der uns mit Trugbildern bedroht, um uns vom rechten Weg abzubringen. Hütet euch vor ihm und seinen heuchlerischen Dienern!«
Als der Eiferer seine Tirade beendet hatte, da stand das Kirchenvolk ergriffen und bebend da. Viele ballten wütend die Fäuste. Und es zeigte sich wieder einmal, wie mißverständlich doch der Aufruf zur Umkehr sein kann. Denn die Gerechten suchten nicht etwa in ihrem Inneren nach der Fährte des Versuchers. Umkehr konnte in ihren Augen nur bedeuten, sich gegen jemand anderen zu richten, und sie wußten jetzt schließlich, wo der Feind stand und wo sie ihn aufzuspüren hatten.
Als hätten sie sich im heiligen Kollegium der Inquisition abgesprochen, wetterten an diesem Morgen auch die Pfaffen in Sankt Peter und in der Spitalkirche, im Gotteshaus der Eremiten sowie der Minderen Brüder des heiligen Franz in verdächtiger Einmütigkeit gegen die teuflischen Machenschaften und ihre vermeintlichen Verursacher.
Nach der Messe bildeten sich vielerorts kleine und größere Gruppen, die lebhaft diskutierten, und beileibe nicht nur in unverbesserlichen Wirrköpfen formten sich dabei die verleumderischen Anspielungen und vagen Vermutungen immer mehr zur häßlichen Gewißheit: »Der Jud ist’s, der uns alle ins Unglück stürzt!«
»Jawohl! Und den Peitinger und den Floßmann, die haben sie schon abgeschlachtet wie ihre Schweine.«
»Nichts da!« protestierte ein Fleischhäckel lautstark. »Nicht, daß ich einen von den Leisetretern
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