Der Wachsmann
auf dem Gewissen hat?« fragte sie mittendrin herausfordernd. »Habt ihr noch immer die halbe Stadt in Verdacht, oder seid ihr schon klüger geworden?«
Peter stand unvermittelt auf, ging in seine Kammer und kehrte gleich darauf mit einem Bogen Pergament sowie Tinte und Feder zurück.
»Laßt uns doch einfach gemeinsam zusammentragen, was wir bisher wissen und alle aufnotieren, die uns in irgendeiner Weise verdächtig erscheinen! Und hinterher sehen wir weiter.«
»Dann schreib nur gleich den Schuhflicker obenauf!« forderte Paul. »Der Mistkerl hat bestimmt Dreck am Kittel.«
»Und den Rabenecker gleich hinterher!« befahl Agnes, wobei sie mit dem Zeigefinger nachdrücklich auf das Pergament pochte. »Wenn sich herausstellt, daß der den Perchtold entführen ließ, dann kratz’ ich ihm höchstpersönlich die Augen aus.«
»Langsam, langsam!« beschwichtigte Peter, der erst die Feder angespitzt und noch gar nicht mit dem Schreiben begonnen hatte. »Ich dachte, bislang galt noch immer der alte Pütrich als Hauptverdächtiger.«
»Stecken wahrscheinlich alle unter einer Decke«, brummelte Paul.
»Wo bleibt Euer Scharfsinn von neulich, Doktor Knoll? Ich wünsche exakte Angaben!«
Peters Spott entlockte dem Freund nur ein mattes Grunzen, so daß er selber die Liste der Verdächtigen eröffnete, Heinrich Pütrich obenauf schrieb und sorgfältig unterstrich. »Was wissen wir von ihm?« fragte er sodann in die Runde.
»Er ist hartherzig und griesgrämig, raffgierig und stinkendreich, hochnäsig, eitel und aufgeblasen, verknöchert und…«
»Halt!« Peter hielt mit dem Schreiben inne und hob abwehrend die Hände, um Paul in der ungehemmten Aufzählung aller ihm geläufiger schlechter Eigenschaften zu bremsen. »Verdacht, Paul, Verdacht! Einen miesen Charakter haben viele.«
»… und hetzt gegen die Juden«, beendete Paul beleidigt seine Aufzählung.
J-u-d-e-n, schrieb Peter groß und deutlich und kratzte sich darauf mit der Federspitze nachdenklich am Kinn. »Er schiebt überhaupt gerne die Schuld auf andere, so auf den Jakob fürs Floß und den Einbruch und auf die Flößer für die Unruhe insgesamt und für den Mord am Peitinger. Uns legt er die angebliche Zügellosigkeit unter den Floßleuten zur Last und noch den König macht er für die Entwicklung in der Stadt verantwortlich, die ihm offenbar mißfällt. Den frühen Tod seiner Schwester Ehrentraud schrieb er meinem Oheim zu, und ich erinnere mich, daß der Sohn des Kaufmanns andeutete, der Alte gebe sogar seinem Bruder die Schuld am Tod des älteren Sohnes Heinrich. Dabei schildert Ludwig Pütrich seinen Vater ansonsten ganz anders, nämlich als gerecht und fürsorglich.«
»Und?« warf Paul leicht gereizt ein. »Hat dein feiner Bruder etwas Schlechtes über seine Mutter gesagt, während du sie für Luzifers Großmutter hältst?«
Peter wollte diesen Einwand nicht vertiefen und notierte daher auf: Beschuldigt Jakob und Flößer, erhebt großes Geschrei und vertuscht den wahren Schaden. Frage: Hat er etwas zu verbergen?
»Er frömmelt unangenehm«, gab Agnes angewidert zu Protokoll, »rennt täglich zur Messe und ist doch ein geiler, alter Bock, der nach jungem Fleisch giert.«
»Wart noch ein, zwei Jahre«, wandte Peter ein, »streich das fromme Getue und die Messe, und die Beschreibung paßt auch auf den Herrn da neben dir.« Der Spötter hatte gerade noch Zeit, sich schützend über das Tintenhorn zu breiten, als er auch schon kräftig an seiner Lockenpracht geschöpft wurde.
»O du Schandmaul! Tugendbold, hinterhältiger!« schimpfte Paul.
»Hört auf!« ging Agnes lachend dazwischen, »oder wollt ihr die übrigen Gäste gleich am Tisch haben?« Sie gab der Elsbeth einen Wink, daß sie den beiden Streithähnen je einen frischen Halbpfunder zur Beruhigung bringen solle.
»Schwerer wiegt da schon«, fuhr Peter wieder ernsthaft fort, »daß der Alte die Psalmverse vermutlich kennt, wenn sie nicht gar von ihm selber stammen.«
»Und er betreibt womöglich noch anderen Hokuspokus«, ergänzte Paul. »Zumindest bewahrt er das Zeug dafür auf.«
»Er könnte demnach auch in irgendeiner Weise mit dem Atzmann zu schaffen haben«, spann Peter den Gedanken weiter. »Dann schiebt er die Zauberei den Juden in die Schuhe und führt uns damit an der Nase herum. Und wenn die Juden in Rauch aufgehen, hat er vermutlich noch anderen Nutzen davon.«
»Aber erinner’ dich, wie er sich geziert hat, als ihm der Richter den Atzmann in die Hand drücken wollte«,
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