Der Wachsmann
entgegnete Paul stirnrunzelnd.
»Würdest du den Dolch oder einen anderen Gegenstand, den man neben einer grausig zugerichteten Leiche findet, einfach so in die Hand nehmen?« fragte Peter zurück. »Und selbst dann, wenn du mit dem Mord und den Werkzeugen zu tun hattest?«
»Ich weiß nicht«, räumte Paul ein. »War nie in der Verlegenheit. Aber merkwürdig ist immerhin, daß der Alte mitten in der Nacht plötzlich am Tatort auftaucht, so als wolle er sich über irgend etwas vergewissern.«
»Aber es zeigte sich auch eine Reihe anderer Ratsherren interessiert«, wandte Agnes ein. »Die halbe Stadt war doch aus Neugierde auf den Beinen.«
Peter nickte düster und notierte sachlich: Kennt vermutlich die Psalmen und hat womöglich auch mit Zauberei zu tun. Dann ließ er einen kleinen Abstand und schrieb: Ludwig Pütrich, jüngerer Bruder.
»Der hat im Gegensatz zu Euch gepflegte Manieren«, ließ sich Agnes als erste hierzu vernehmen. »Er weiß, wie man sich einer Dame gegenüber benimmt.«
Peter schaute sie mit zusammengekniffenen Augen mißtrauisch an.
»Nicht mehr und auch nicht weniger«, versicherte Agnes lachend. »Keine Sorge!«
»Ich hab’ ihn erst für einen aalglatten Heuchler gehalten«, gab Paul an, »aber inzwischen habe ich prächtige Seiten an ihm entdeckt.«
»O weh!« klagte Agnes. »Das kann nur bedeuten, daß auch er zu den Huren geht, sich besäuft und spielt und ich mich in ihm getäuscht habe.«
»Zumindest scheint er bemüht, den Schaden zu begrenzen«, hob Peter vermittelnd hervor. »Er hat auch unter der Tyrannei des Alten zu leiden und versucht, einiges an der Mißstimmung gegenüber den Flößern wiedergutzumachen. Aber vergessen wir nicht: Er könnte möglicherweise auch gelogen haben, was diesen Roland betrifft.«
Da keiner zusätzlich etwas für oder wider den jüngeren Kaufmann zu sagen wußte, setzte Peter die Liste fort mit: Ludwig Pütrich, Sohn.
»Er scheint mir am allerwenigsten verdächtig«, eröffnete Peter auch gleich die Beschreibung, »denn er war die meiste Zeit auswärts und weilt erst seit kurz vor Jakobi hier. Und er macht einen rechtschaffenen Eindruck, ist trotz seiner Jugend schon sehr tüchtig und…«
»Aaah!« unterbrach ihn Paul genüßlich. »An dem Bürschlein hat wohl unser Tugendwächter seinen Narren gefressen. Zwei edle Seelen haben sich gefunden. Gerade das, mein Freund, macht ihn in meinen Augen höchst verdächtig! Noch so ein stilles Wasser ohne Grund, aber tückisch wie des Teufels Arsch. Pest und Hölle! Da ist mir einer der spielt und trinkt schon lieber. Bei dem kenn’ ich mich aus.«
Peter überging die Stichelei.
»Er könnte immerhin seinen Vater in Schutz nehmen und dafür möglicherweise gelogen haben«, setzte er die Überlegungen fort. »Aber das ist ja in deinen Augen noch kein Vergehen. Und auch er könnte in bezug auf Roland die Unwahrheit gesagt haben. Andererseits: Der Anschlag auf ihn ist nicht zu leugnen.«
»Bist du sicher?« blieb Paul mißtrauisch. »Hast du die Wunde tatsächlich gesehen?«
»Das nicht«, mußte Peter zugeben. »Aber der Tömlinger hat sie in Augenschein genommen. Und der sollte doch wohl unverdächtig sein.«
»Pah! Bloß weil er Arzt ist?« nörgelte Paul.
Peter schrieb: Hat möglicherweise auch gelogen. Und setzte darunter: Birgit Pütrich, geborene Rabenecker.
»Metze!« platzte Agnes heraus. »Schamlose Metze! Schreib das hin!«
Sie pochte wieder mit dem Zeigefinger auf das Pergament und Peter kritzelte artig ›Metze‹, bevor er den Einwand wagte, daß sie zwar eine schillernde Person sei, daß aber auch keiner so recht über sie Bescheid wisse und vieles wohl übler Nachrede entspräche.
»Jedes Gerücht enthält ein Körnchen Wahrheit«, beharrte die Wirtin, »und in ihrem Fall erscheint’s mir wie ein Sack voll Körner.«
»Und sie turtelt mit dem Schuster«, flocht Paul mit erhobenem Zeigefinger und aufgesetzt strenger Miene ein, »entsetzlich würdelos, fast schon ein Verbrechen.«
»Das wissen wir keineswegs sicher«, zweifelte Peter.
»Zumindest verkehrt sie auffallend oft im Haus gegenüber«, schob Paul nach.
»Was durch die Tatsache, daß sie des Rabeneckers Tochter ist, wiederum nicht ungewöhnlich erscheint«, entgegnete Peter.
»Auch zu so später Stunde?«
»Nun ja…« Nach einem Seitenblick auf Agnes sparte sich Peter jeden weiteren Einwand, stellte aber dennoch fest: »Wir mögen zwar ihren Lebenswandel in Zweifel ziehen, aber macht sie das auch im Hinblick auf
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