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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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wie Zauberei an, und er wäre am liebsten auf der Stelle umgekehrt.
    Es war Freitag abend, kurz vor Sonnenuntergang, und er hatte sich endlich dazu durchgerungen, den Judenmeister aufzusuchen. Der Richter hatte die Wachen inzwischen zurückgezogen. Erst hatte Peter erwogen, den Besuch während der Sonntagsmesse auszuführen, weil dann am sichersten gegeben schien, daß ihn dabei kaum einer seiner argwöhnischen Glaubensgenossen zu Gesicht bekäme. Er hatte den Plan wieder aufgegeben, denn sollte tatsächlich einer beobachten, wie er anstatt zur Messe zu den Hebräern ging – der Schaden wäre ungleich größer. So stand er nun ratlos inmitten der Judengasse, als er einen eigenartigen Gesang hörte, der aus einem Gebäude zu kommen schien, das größer und prächtiger geraten war im Vergleich zu den danebenliegenden. Er ging langsam darauf zu. Der matte Lichtschein wurde heller. Kurz darauf quoll eine Gruppe von Menschen in langen, dunklen Gewändern aus dem Gebäude, teilte und löste sich und strebte so den verschiedenen Häusern zu. Die älteren Männer gingen gemessenen Schritts und würdevoll, zum Teil noch in sich versunken und eine Melodie vor sich hinsummend, die Burschen gebärdeten sich ausgelassen und übermütig, bis sie zurechtgewiesen wurden. Frauen konnte Peter keine ausmachen. Er sprach einige der Vorübergehenden an: »Zu Isaak Goldstein?… Wo finde ich den Judenmeister?… Ach, bitte, wer kann mir…«
    Es war, als spräche er in den Wind. Große, dunkle Augen blickten ihn im Vorbeigehen an, als sei er ein zweiköpfiges Kalb, und er war sich nicht sicher, ob aus ihnen nur stilles Fragen und Verständnislosigkeit sprachen oder nicht auch Ablehnung oder gar Feindseligkeit. Schließlich verwies ihn einer an einen hageren Alten mit weißem Haarkranz und ebensolchem Bart. Peter war mit ein paar schnellen Schritten an seiner Seite und sprach ihn beherzt an: »Gott zum Gruß! Ihr seid Isaak Goldstein?«
    Der Alte blieb stehen und musterte Peter stirnrunzelnd: »Schalom… ich meine: Friede mit Euch. Was wünscht Ihr von mir?«
    »Verzeiht, wenn ich Euch einfach so belästige! Bruder Servatius von den Minderbrüdern hat mich an Euch verwiesen. Ich muß Euch einige Fragen stellen. Es ist von höchster Wichtigkeit.«
    »Soso«, erwiderte der alte Mann lächelnd und nahm dabei seine Schritte wieder auf. »Was will schon jemand von einem alten Juden wissen? Aber meinetwegen. Ihr habt nur leider einen sehr schlechten Zeitpunkt dafür gewählt. Denn nichts kann so wichtig sein, als daß unsere Königin darunter leiden dürfte.«
    Peter schaute ihn entgeistert an. Er hatte nie etwas von einer Königin der Juden gehört. War der Alte nicht ganz richtig im Kopf oder wollte er ihn auf den Arm nehmen? Für beides hatte er nicht das Risiko auf sich genommen und sich in die Judengasse gewagt.
    »Es ist Königin Schabbat, versteht Ihr?«
    »Nein«, gab Peter unumwunden zu.
    »Für uns Juden ist der Tag, an dem der Ewige und Einzige von seiner Schöpfung ausruhte, der wichtigste Festtag, und wir begehen ihn mit allen Ehren«, erklärte Isaak Goldstein geduldig. »Er beginnt am Freitag nach Sonnenuntergang und währt noch den ganzen darauffolgenden Tag, bis wieder die Sonne versunken ist. Er ist besinnlicher Ruhe, stillem Gebet und dem Studium der Schriften gewidmet. Wir begrüßen ihn heute abend mit festlichem Mahl und Beisammensein und enthalten uns morgen jeglicher unerlaubter Tätigkeit, und so ist es auch nicht recht vor dem Herrn, mehr Worte als unbedingt nötig zu verlieren. Ich hoffe, Ihr könnt dies verstehen.«
    »Hm«, brummelte Peter, der seine Enttäuschung nicht so einfach abschütteln konnte.
    Inzwischen hatten sie das Haus des Judenmeisters erreicht. Die Türe stand offen, und Peter erhaschte einen Blick in den Innenraum. Eine große Familie hatte sich schon um die gedeckte Tafel versammelt und harrte nur noch der Ankunft ihres Vorstands. Zwei kostbare Leuchter verströmten warmes Licht. Es roch nach duftendem Brot und würzigen Speisen, und Peter wurde mit einem Mal gewahr, daß ihn hungerte.
    Der Alte trat über die Schwelle, berührte dabei die merkwürdige Schachtel und führte danach die Fingerspitzen ehrfürchtig zum Mund. Er drehte sich um, schaute Peter ruhig und freundlich in die Augen und sprach: »Geht mit dem Segen des Allmächtigen für heute und kommt in zwei Tagen wieder. Dann stehe ich für all Eure Fragen gerne zur Verfügung.«
    Die Türe schloß sich langsam, aber unausweichlich vor

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