Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
Vom Netzwerk:
Und siehe da, der Basilisk starrte auf sein scheußliches Spiegelbild und zerplatzte augenblicklich in tausend Stücke. Nur die Krone blieb heil, derer sich der weiße Hahn bemächtigte.
    Und schon trug das Traumbild den unruhigen Schläfer in rasendem Flug fort auf eine weite Lichtung. Dort tummelten sich ein kräftiger Rappe und ein herrlicher Schimmel. Die Wiese war saftig, und es roch nach Salbei und Rosmarin, und der taufrische Grund hätte eine ganze Herde getragen. Doch plötzlich fing der Rappe an, den Schimmel zu bedrängen und wollte ihn von der Lichtung jagen. Der aber erhob sich auf die Hinterhufe und tänzelte bedrohlich, und wenig später hieben beide mit ihren Hufen aufeinander ein, daß es nur so krachte und verbissen sich im Nacken des anderen. Der schwarze Hengst unterlag und galoppierte wütend davon. Noch ehe er den Rand der Lichtung erreicht hatte, brach die Erde auf und klaffte wie eine häßliche Wunde. Es war aber ein Höllenschlund, der sich aufgetan hatte und kaum war der Hengst in den Abgrund gesprungen, da ward sein glänzendes Fell versengt, und er stürzte und stürzte, bis er aufschlug und zerschmetterte.
    Peter schrie laut auf im Traum und Paul eilte hinzu, aber dem Schläfer wurde noch nicht die Gnade des Erwachens zuteil.
    Dem Höllenschlund entstieg unterdessen mit giftigen Schwaden und fauligem Gestank ein riesiger, rotgeschuppter Drache mit glühenden Augen. Den ungeheuren Schädel der garstigen Echse zierte eine goldene Krone. Mit ihr quoll viel ekelhaftes Gewürm über den Rand des Abgrunds, züngelte und wand sich auf den Schimmel zu und umschlang alsbald zuhauf dessen Fesseln. Da entwuchsen dem Pferdeleib plötzlich mächtige weiße Flügel wie die Schwingen eines Adlers, und der ganze Körper verwandelte sich in einen Löwen mit kräftigen Beinen und starken Klauen; nur Kopf und Hals waren geformt und gefiedert wie der eines Adlers. Der Greif zertrat erst einen großen Teil des Gewürms, dann schwang er sich in die Luft, stürzte auf den Drachen hernieder und hackte diesem die glühenden Augen aus. Sodann packte er mit seinen Klauen den mächtigen Drachen, hob ihn als Ganzes empor, trug ihn über den Abgrund und ließ ihn dort wieder in das Grauen stürzen, dem er entstiegen war. Und die Erde schloß sich alsogleich hinter ihm. Der Greif aber trug die Krone im Schnabel, schraubte sich in die Lüfte und zog dort seine Kreise, scharfsinnig wachend über alles Geschehen auf der Erde.
    Da nahm aber noch ein anderes Traumgesicht Gestalt an, und der beklagenswerte Schläfer erblickte einen runzeligen Atzmann, der von Pfeilen gräßlich durchbohrt war. Und er war ihm so nah, daß er jede Falte und jeden Blutstropfen wie echt vor seinen Augen sah, und plötzlich fuhr Leben in die künstliche Gestalt, und sie bewegte sich. Die roten Knopfaugen funkelten niederträchtig, und das schmallippige Maul verzog sich zu einem häßlichen Grinsen. Der zwergenhafte Unhold hielt auf einmal einen starken Bogen in der Linken, riß unter höllischem Gelächter einen Pfeil aus seinem Körper, legte ihn auf die Sehne und ließ ihn in die Lüfte schnellen, dorthin, wo der siegreiche Greif seine Kreise zog…
    Peter stieß einen schrillen Schrei aus, als sei ihm eben selbst ein Pfeil durch die Gurgel gefahren, und schweißüberströmt fuhr er von seinem Strohsack hoch. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, sein Atem ging stoßweise. Er blickte wild um sich, schrie erneut auf, als er die Gestalt vor sich gewahrte und flüchtete sich wimmernd in die Ecke der kleinen Kammer.
    »Ich bin’s doch nur, ganz ruhig«, sprach Paul sanft auf ihn ein, und allmählich kam Peter zu sich.
    »Was ist… all die scheußlichen Viecher… wo bin ich?«
    »Na, bei mir«, erteilte Paul lachend Auskunft. »Du hast gebrüllt, als hätten sich all deine Sünden in reißende Bestien verwandelt, und gleich wird hier noch ein scheußlicher Drache in Gestalt meiner Hauswirtin anrücken, wenn du weiterhin so schreist.«
    Peter zog unwillkürlich die Beine dicht an den Körper und schilderte Paul die Schrecken seines Traumes. »Ich habe Angst, Paul«, fügte er hinzu, »Angst, daß etwas Schreckliches geschieht. Glaub mir, der gräßliche Traum hängt mit dieser verdammten Geschichte zusammen! Wenn ich nur wüßte wie?«
    »Du grübelst zuviel«, beschied ihn Paul mit freundschaftlichem Tadel. »Ein zarter Weiberarsch und ein ordentlicher Trunk zur Nacht sind die beste Medizin. Aber du, du mußt ja zu den Juden laufen. Kein Wunder,

Weitere Kostenlose Bücher