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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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wenn dich dann der Alp plagt.«
    »Und ich werd’ wieder hingehen«, beharrte Peter trotzig, »jetzt erst recht, und du wirst mitkommen!«
    Nach der Messe am Sonntagmorgen fügte sich Paul in das Unvermeidliche und folgte seinem hartnäckigen jungen Freund in die Judengasse. Diesmal herrschte dort geschäftiges Treiben. Einige nickten im Vorbeigehen einen Gruß, und Peter glaubte, in den Blicken freundliche Neugier zu entdecken.
    Er klopfte kräftig an der Pforte des Judenmeisters, und während des Wartens machte er Paul auf den seltsamen Behälter am Türpfosten aufmerksam.
    »Wofür hältst du das?«
    Noch ehe Paul seine Ansicht kundtun konnte, öffnete Isaak Goldstein höchstpersönlich und bat sie hinein. Über der Stube lagen friedvolle Ruhe und ein eigenartiger Wohlgeruch. Fast so etwas wie Weihrauch, den Peter von der Messe her kannte, doch irgendwie anders, süßlicher und beinahe betörend. Der alte Mann im schwarzen Kaftan wies den Gästen Plätze zu und rief in einer fremden Sprache etwas in einen rückwärtigen Raum, bevor er sich ebenfalls setzte. Jetzt erst konnte Peter ihn genauer betrachten. Das stumpfe Weiß von Haar und Bart und die faltige Haut von Gesicht und Händen ließen auf hohes Alter schließen. Über der Fülle des Bartes, der einen Großteil des Gesichtes verdeckte, imponierten eine scharf gekrümmte Nase und zwei hellwache, tiefgründige Augen. Ihr feuchter, seidiger Glanz verlieh ihnen Milde und ließ zugleich erahnen, daß sie schon viel Leid gesehen hatten.
    »Ich freue mich sehr«, begann der Alte das Gespräch, »daß Ihr noch einmal den Weg zu mir gefunden habt. Ich befürchtete schon, meine Ablehnung habe Euch gekränkt…«
    Paul schaute Peter fragend von der Seite an, davon hatte ihm dieser nichts berichtet.
    »Und glaubt bitte nicht, daß meine Zurückhaltung Unhöflichkeit entspricht«, bat Isaak mit besorgter Miene, »denn das Gastrecht ist uns Juden heilig. Aber unser Schabbat ist auch nicht einfach nur ein Ruhetag, sondern gemahnt uns, daß Er allein der Schöpfer der Dinge ist. Deshalb enthalten wir uns allen Tagwerks, um uns nicht hochmütig über ihn zu stellen. Deshalb sind alle Speisen schon am Vortag bereitet und wird am Schabbat nicht einmal das Feuer im Herd entzündet.«
    »Aber warum haltet Ihr Euren Ruhetag nicht am Sonntag ein, wie wir Christen auch?« platzte Paul dazwischen, und es klang wie Tadel, daß sich solches einfach nicht gehöre.
    »Es gab einmal eine Zeit, da feierten Juden und Christen gemeinsam den Schabbat«, erklärte Isaak. »Müßte da nicht eher die Frage lauten, warum Kaiser Konstantin eigens den Sonntag zum Ruhetag der Christenheit erkor?«
    Während die beiden Pfleger sich etwas verlegen anschauten, betrat eine junge Frau den Raum und stellte ein silbernes Tablett mit süßen Köstlichkeiten und gewürztem Wein auf den Tisch. Ihr schwarzes Haar wurde von einem zarten Schleier bedeckt. Sie murmelte mit einem scheuen Lächeln einen Gruß und zog sich sogleich wieder zurück.
    »Es ist Lea, meine jüngste Tochter«, stellte sie der Greis mit sichtbarem Stolz vor, während er sich erhob, um aus einem Wandschränkchen drei Becher zu entnehmen.
    Pauls Augen waren der hübschen Tochter gefolgt und hatten dabei entdeckt, daß an dem Türrahmen, durch den sie entschwunden war, ein ebensolcher Behälter wie an der Haustüre hing. Er stieß Peter mit dem Ellbogen an und verwies mit dem Kopf darauf. Peter mißdeutete es dahin, daß der Freund wieder nur den Weiberrock im Sinn hatte und wandte sich unwirsch ab. Da stieß Paul ihn nochmals an und zeigte auf die Kapsel. In diesem Moment kam der Alte an den Tisch zurück, und sein Blick folgte dem ausgestreckten Finger. Peter beeilte sich zu erklären: »Es ist ein eigenartig Ding, das Ihr da an den Türpfosten befestigt habt. Verzeiht unsere Neugier, aber stellt es so eine Art Schutzzauber dar?«
    »Wie? Ach, Ihr meint die Mesusa.« Isaak Goldstein lächelte und schien dabei fast ein wenig belustigt. »Nein, nein, dem Schutze dient es wohl, aber es ist kein Zauber. Es ist eher eine ständige Mahnung: ›Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein! Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all deiner Kraft!‹ So steht es im fünften Buch Mose geschrieben, und es heißt dort weiter, daß uns die Worte stets gegenwärtig sein und wir sie deshalb auch an den Pforten unseres Hauses anbringen sollen. Und was Ihr dort in hebräischen Zeichen

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